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Die Bernsteinhandlerin

Titel: Die Bernsteinhandlerin
Autoren: Walden Conny
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Höflichkeit hätte er wohl wahren können!, fand sie.
    Wenigstens die Achtung, die Matthias Isenbrandt sicherlich einem wichtigen Geschäftspartner entgegengebracht hätte, der mit einer Ladung Bernstein, Seide oder englischem Tuch im Lübecker Hafen angelangt wäre, hätte sie erwartet – denn welch wichtigeres Geschäft zwischen den Heusenbrinks und den Isenbrandts hatte es wohl je gegeben?
    Thomas Bartelsen wandte sich an ihren Vater Heinrich. »Ich habe den Auftrag, Euch und Eure Tochter zum Haus Isenbrandt zu bringen«, erklärte er. »Es ist für alles gesorgt. Ihr mögt Euch in der Zeit vor der Verlobungsfeier wie zu Hause fühlen, und es soll Euch an nichts mangeln!«
    Â»Ich danke Euch!«, antwortete Heinrich.
    Â»Für Euer Gepäck wird natürlich gesorgt. Ihr braucht Euch um nichts zu kümmern. Im Haus der Isenbrandts sind die Gemächer bereits für Euch gerichtet worden.«
    Heinrich wollte den Bettlern noch ein paar Almosen geben, aber der Schreiber des Hauses Isenbrandt hielt ihn davon ab. »Das erledigen unsere Leute schon«, sagte Thomas Bartelsen, »und da Ihr – wie ich annehme – mit viel Gepäck angereist seid, werden viele dieser Armseligen Gelegenheit haben, sich ein paar Münzen zu verdienen.«
    Â»Und was ist mit den Krüppeln, die dazu nicht in der Lage sind?«, mischte sich Barbara ein.
    Das Lächeln des Schreibers im Hause Isenbrandt wirkte auf einmal sehr kühl. Das ist also Euer weniger galantes Gesicht, Herr Bartelsen!, erkannte Barbara.

    Â»Gott hat sie gestraft – warum sollten wir sie belohnen?«, fragte Bartelsen.
    Â 
    Wenig später fuhren Barbara und Heinrich Heusenbrink in dem offenen Wagen, mit dem Thomas Bartelsen gekommen war, durch das Holstentor in die Stadt.
    Der Kutscher trieb die Pferde voran. Die bewaffneten Wächter der Stadtwache, die dort Posten bezogen hatten, winkten ihn einfach hindurch. Im Süden überragte der Dom die Häuser der Stadt. Nur fünfzig Schritt jenseits des Tores begann bereits das Kaufmannsviertel – deutlich erkennbar an den prächtigen Patrizierhäusern, die den Reichtum Lübecks und seiner Bürger widerspiegelten. Stimmengewirr aus mindestens einem halben Dutzend Sprachen erfüllte die Straßen. Das hanseatische Niederdeutsch, meistens Düdesch genannt, das zur Lingua franca des Ostseeraums geworden war und bis nach Skandinavien und ins Baltikum hinein vielfach verstanden wurde, dominierte zwar, aber man vernahm auch Englisch, Russisch und Polnisch – hin und wieder sogar Italienisch.
    Händler waren mit ihren Karren auf dem Weg zu einem der Märkte, und Gaukler führten an den Straßenecken und Plätzen ihre Kunststücke vor. Mit ihren bunten Gewändern bildeten sie einen starken Kontrast zu den grauen Kutten der Mönche des Johannisklosters. Der Klosterbezirk lag auf der Ostseite der Stadt am Ufer der Wakenitz, eines angestauten und dadurch auf Seebreite angeschwollenen Zuflusses der Trave. Vom Händlerviertel war der Klosterbezirk durch die Wohnbereiche der Handwerker getrennt, aber diese fand man überall in der Stadt, sowohl dort, wo die Prachtbauten der Patrizier das Bild prägten, als auch in den engen, unübersichtlichen Gassen, in denen die Familien von Tagelöhnern, Werftarbeitern oder Seeleuten hausten. Neben den Johannitermönchen
gab es auch noch ein Dominikanerkloster im Norden der Stadt, dessen Mönche zu den ersten christlichen Siedlern gehört hatten, nachdem Lübeck auf den Ruinen einer verwüsteten Slawensiedlung neu gegründet worden war.
    Der Wagen hielt vor einem der großen Patrizierhäuser. Thomas Bartelsen half Barbara vom Wagen.
    Barbara nahm dabei ein wenig ihre schweren Röcke hoch. Sie fror noch immer etwas. Zwar war sie aus Riga eigentlich zu dieser Jahreszeit noch ganz andere Temperaturen gewöhnt, wenn der eisige Ostwind blies, aber die Luft war dort trockener. Hier hingegen ließ der feuchtkalte Wind alle Gewänder nach und nach klamm werden.
    Â»Nun folgt mir und lasst Euch von den Herrschaften des Hauses willkommen heißen«, sagte Bartelsen.
    Gemeinsam mit ihrem Vater Heinrich stieg Barbara die fünf Stufen des Haupteingangs hinauf, und der Saum ihres Kleides raschelte dabei über den kalten Stein. Sie raffte es etwas zusammen, und als sie die vierte Stufe erreichte, wurde die zweiflügelige Tür bereits durch das
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