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Die Bernsteinhandlerin

Titel: Die Bernsteinhandlerin
Autoren: Walden Conny
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Gnade eines Lehnsherrn gründete, sondern auf der Macht des Geldes und dem Erkennen von Möglichkeiten, es zu vermehren. Ihr kostbarer Mantel unterstrich diesen selbstbewussten Eindruck noch – aber selbst wenn Barbara im
grauen Büßergewand und mit aschebedecktem Haupt auf den Planken der »Bernsteinprinzessin« gestanden hätte, so wäre doch dieser Stolz nicht zu verleugnen gewesen. Ein Stolz, der nicht mit Überheblichkeit zu verwechseln war, sondern auf einem festen Vertrauen in die eigenen – insbesondere merkantilen – Fähigkeiten fußte, das trotz aller Ungewissheit einen furchtlosen Blick in die Zukunft ermöglichte.
    Barbara zog ihren Umhang mit dem Pelzbesatz enger um die Schultern, denn der eisige Wind fuhr wie ein kaltes Messer durch die verschiedenen Schichten von Kleidungsstücken. Sie hatte das Gefühl, auf schwankendem Boden zu stehen – und das galt nicht nur für ihren Aufenthalt auf der »Bernsteinprinzessin« mit ihren rutschigen Planken, sondern erschien ihr wie ein Gleichnis ihres Schicksals. Jedenfalls war sie ganz und gar nicht von irgendeinem Glücksgefühl erfüllt, wenn sie an die bevorstehende Verlobung mit dem lübischen Patriziersohn Matthias Isenbrandt dachte. Liebe war es sicher nicht, was sie miteinander verband, eher schon waren es Familieninteressen; denn in dem Bestreben, durch Hochzeiten Politik zu machen, glichen sich der Geldadel des Kaufmannsstandes und der herkömmliche Adel auf erstaunliche Weise. Barbara und Matthias waren sich einmal flüchtig während eines Festes in Riga begegnet, das im Rahmen einer gemeinsamen Kaufmannstagung von Patriziern aus Riga und Lübecker Rigafahrern stattgefunden hatte. Eine höfliche Begrüßung und ein kurzer, mehr oder minder charmanter Wortwechsel – das war ihr gesamter bisheriger Kontakt gewesen. Zu behaupten, dass sie sich auch nur oberflächlich gekannt hätten, wäre übertrieben gewesen. Matthias Isenbrandt sah aus wie eine jüngere, noch nicht ergraute Version seines Vaters. Dunkelblond waren seine Haare, die Augen grau wie ein diesiger Herbsttag an der Küste. Er war hochgewachsen und
schlank. Die nach der neuesten Mode aus Venedig oder Florenz geschnittenen Kleider standen ihm gut, und die meisten ihrer Bekannten in Riga fanden, dass Barbara mit ihm das große Los gezogen hätte. Ein Gemahl, der attraktiv, reich und gesellschaftlich hoch angesehen war – was konnte eine Kaufmannstochter aus Riga sonst noch erwarten? Ja, äußerlich schien alles perfekt zu sein …
    Hier in Lübeck würde sich ihr zukünftiges Leben entscheiden. Doch Barbara hatte das Gefühl, dass die entscheidende Weggabelung bereits hinter ihr liege und alles, was jetzt käme, vorgezeichnet sei. Und das ängstigte sie. Schon als sie in Riga die rutschigen Planken der »Bernsteinprinzessin« betreten hatte, war ihr das sehr schmerzhaft bewusst geworden. Und das beklemmende Gefühl, das sie in jenem Augenblick empfand, hatte sie seitdem nicht mehr verlassen. Die in den hintersten Winkel ihrer Seele verdrängte Erkenntnis, sich auf einem falschen Weg zu befinden, drang in manchen Augenblicken mit Macht in den Vordergrund. Aber sie dachte, dass es für sie kein Zurück mehr gäbe.
    Ein rauer, heiserer Ruf riss Barbara aus ihren Gedanken, sodass ein Ruck durch ihre schlanke, zierlich wirkende Gestalt ging.
    Â 
    Es war einer der Seeleute, dessen Stimme sie ins Hier und Jetzt zurückgeholt hatte. Er hielt ein Tauende in der Hand, hatte sich in der Nähe des Bugs rittlings über die Reling geschwungen und wartete nun darauf, dass die »Bernsteinprinzessin« sich weit genug der Kaimauer näherte, sodass er an Land springen und das Schiff vertäuen konnte. Dessen Segel wurden inzwischen eingeholt. Die Kogge trieb auf eine freie Anlegestelle nahe dem Holstentor zu. Dem Einfluss des Hauses Isenbrandt war es zu verdanken, dass die »Bernsteinprinzessin«
hier, im älteren Hafengebiet, unweit des Salzmarktes, anlegen konnte. Wenn man die Stadtmauer durch das Holstentor passierte, hatte man nur einen kurzen Weg ins Viertel der Kaufleute rund um die Kirche von St. Marien, das Rathaus und die Wechselbänke, wo Münzen aus aller Herren Ländern in lübische Mark getauscht werden konnten – sofern ihr Gehalt an Gold, Silber oder Kupfer nicht in irgendeiner Weise zweifelhaft war.
    Durch den gewählten Anlegeplatz
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