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Die Bernsteinhandlerin

Titel: Die Bernsteinhandlerin
Autoren: Walden Conny
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Hälfte gezogen hatte, durchschlug eine Kugel sein rechtes Bein und fuhr danach in den Leib des Pferdes, das daraufhin zusammenbrach. Der Schrei des getroffenen Reiters mischte sich mit dem schrillen Wiehern des Pferdes, das wild
um sich trat, während Ströme seines Blutes im sandigen, nur spärlich von sonnenverbranntem Gras bedeckten Erdreich versickerten.
    Ein Dutzend Männer stürmte jetzt wild schreiend aus den Büschen. Der am Boden liegende Verletzte, dessen Hosenbein sich bereits über und über rot gefärbt hatte, hob abwehrend sein Schwert. Den Schwertstreich eines Angreifers konnte er noch parieren, dann traf ihn ein Axthieb am Kopf und setzte seinem Leben ein Ende.
    Der Armbrustschütze auf dem Kutschbock hob seine Waffe und streckte einen der Angreifer nieder, bevor ihm selbst ein Wurfdolch im Hals stecken blieb und er röchelnd zur Seite sackte. Der Kutscher saß wie erstarrt daneben, bleich wie ein Leichentuch, während einige der Angreifer bereits die Zügel des Gespanns gefasst und die Pferde beruhigt hatten. Dann sprang er vom Bock – doch ehe er wieder auf die Beine kommen und zu fliehen vermochte, traf ihn ein Schuss und ließ ihn wimmernd am Boden liegen. Der Schlag mit einer Axt beendete auch sein Leben. Noch ein weiterer Schuss krachte und ließ das Holz eines Vorderrades splittern und den Wagen an dieser Seite ein Stück hinabsinken.
    Schon kletterte jemand von hinten am Wagen empor und durchtrennte mit einem Langmesser die Schnüre, mit denen auf dem Dach die Gepäckstücke befestigt waren.
    Ein Mann in fleckigem Lederwams trat von der Seite auf die Kutsche zu. Er hatte ein Loch in der Wange, das man ihm zweifellos irgendwann beigebracht hatte, um ihn als Verbrecher zu brandmarken. Der so grausam Gezeichnete benetzte Daumen und Zeigefinger mit der Zunge und löschte die Lunte seiner Hakenbüchse, denn es war nicht anzunehmen, dass er die Waffe noch einmal abfeuern musste; es schien ihm wohl besser zu sein, Pulver und Kugel zu sparen.

    Er riss die Tür der Kutsche auf. »Raus mit Euch! Und zwar sofort!«
    Im Inneren der Kutsche befand sich nur eine einzige Person – eine junge Frau, die dem Gebrandmarkten überraschend furchtlos entgegensah. Meergrüne, aufmerksame Augen beherrschten ihr fein geschnittenes, von dunkelblonden Haaren gekröntes Gesicht. Ihr entschlossen wirkender Blick stand in einem gewissen Kontrast zu den noch sehr jung wirkenden, weichen Gesichtszügen. Die Frisur trug sie hochgesteckt, aber die Strapazen der Reise hatten sie ein bisschen zerzaust, sodass sich ein paar Strähnen hervorstahlen. Mit einer beiläufigen, gleichermaßen elegant wie nüchtern wirkenden Handbewegung strich sie sich eine dieser Strähnen aus der Stirn.
    Grob ergriff der Mann mit dem Loch in der Wange ihr Handgelenk und zog die Frau aus dem Wagen. Er fasste ihr Kinn und drehte ihren Kopf zur Seite.
    Â»Das muss sie sein!«, meinte einer der anderen Männer – ein Kerl mit einem dunklen Bart, der ihm fast bis unter die Augen wuchs.
    Der Gebrandmarkte nickte. Sein Blick hing an dem in Silber gefassten Bernsteinamulett, das die junge Frau um den Hals trug. Er griff zu und riss es ihr vom Hals. Dann hielt er es in die Sonne und sah sich die Gravur auf der Rückseite an. Lesen konnte er wahrscheinlich nicht, aber das H, das kunstvoll, fast nach Art eines Miniaturwappens gestaltet worden war, hatte er schon gesehen. »Kein Zweifel, sie ist die Frau, die wir suchen«, stellte er fest. »Barbara Heusenbrink – die Tochter des Mannes, den man in Riga den Bernsteinkönig nennt, weil angeblich jedes Stück des Ostseegoldes durch seine Hände geht!«
    Â 
    Barbara Heusenbrink versuchte ein Zittern zu unterdrücken. Man hatte sie sehr eindringlich davor gewarnt, den Weg über
die Nehrung zu nehmen, an deren Ende man mit einer Fähre die Meerenge überqueren konnte, die das Kurische Haff mit der Ostsee verband. Aber da das Land südlich des Haffs von den Litauern beherrscht wurde, war der Weg über die Nehrung die einzige Möglichkeit, auf dem Landweg nach Kurland zu kommen, ohne das Ordensterritorium zu verlassen.
    Dass dieser Umstand Räuber dazu einlud, hier auf Beute zu warten, lag auf der Hand.
    Aber Barbara war keineswegs vor einer Woche von der Marienburg aus aufgebrochen, ohne diese Risiken zu bedenken. Die gut bewaffneten und dem Haus Heusenbrink treu ergebenen Männer, die sie
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