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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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verträgt sich nicht mit Rücksicht. Er verläßt Frau und Kinder in dem Bewußtsein, daß er Schuld auf sich lädt. Er ist von der (für ihn nicht zu überwindenden) Überzeugung durchdrungen, daß sich außer Literatur, verstanden als dem Leben abgerungene Essenz, nichts auf Erden lohnt. Die Scheidung erfolgt einvernehmlich.
    Nizons tiefe Angst gilt einem Nie-ganz-auf-die-Welt-Kom
men. Für ihn ist das Leben eine Aufgabe der Imagination im Wortsinn, eine Ein-Bildung, ein schöpferischer Akt. Nizon ist ein Sprachmensch. Seine Weise, zur Welt zu kommen, ist das Aussagen des Erlebten. Nur die zur Sprache gebrachte Welt ist wirklich. Das klingt überspannt und übertrieben. Ist aber im Grunde ganz plausibel. Wer nur wenige Worte hat für das, was ist, für den bleibt die Welt diffus, eine sinnliche Überwältigung, eine nie zu fassende Reizflut. Das feine Unterscheidungsvermögen durch Sprache hilft, dem bodenlosen Erleben Grund einzuziehen. Sprache ist das primäre Erkenntnisinstrument. Gleichzeitig verstärkt Sprachmacht die Intensität der Erlebnisse. Für Nizon ein entscheidender Aspekt. Denn es ist eine Erfahrung, die viele erleiden, daß die Erlebnisfähigkeit mit zunehmendem Alter abnimmt. Die »Erstausgabe der Gefühle« während des Heranwachsens ist noch ein Fest des Lebens. Danach wütet die Macht der Gewohnheit, man lernt das Leben auswendig, es wird »wie eine abertausendmal erzählte Geschichte, es kriegt den stumpfen Glanz der abgegriffenen Münze, es wird immer enger und kleiner«. Dagegen kämpft Nizon mit seiner Sprachwut an. Erst die genau benannte Welt bricht in all ihren Facetten auf und wird im Bewußtsein auf erregende Weise Wirklichkeit.
    In seinem zweiten Buch macht Nizon diese Überzeugung zum Programm. Er läßt sich durch das Action-painting der abstrakten amerikanischen Expressionisten zu einer »action-Prosa« in Canto anregen. So wie ein Jackson Pollock sich zu einem Erregungskörper machte, der in einer Art Veitstanz den Niederschlag des Welterlebens im eigenen Körper auf die Leinwand kleckst, so schleudert Nizon in diesem Text mit aller Wucht die Sprache aus sich heraus. Es ist der wahnwitzige Versuch, das eigene Bewußtsein ganz auszusagen. Nizon schreibt Canto 1962 wie im Rausch. Er, der später oft Jahre für seine schmalen Prosabände braucht,
vollendet das Buch, mit dem er sein Romjahr verarbeitet, in nur wenigen Monaten. Die Erwartungen sind hochgespannt. Sein Verleger Siegfried Unseld hält es für nicht weniger als einen Geniestreich – jedenfalls so lange, bis man ihm die Verkaufszahlen vorlegt. Das Buch findet kaum Leser und stößt bei der Kritik, auch wenn sie vereinzelt enthusiastisch ist, im großen und ganzen auf Unverständnis. Nach den übergroßen Erwartungen, die auf Weltruhm und einen Platz in der Geschichte zielten, ein Frontalaufprall gegen eine Betonwand. Die Ablehnung fährt Paul Nizon ins Kreuz, er leidet Schmerzen, die nur noch mit stärksten Mitteln zu betäuben sind. Nizon wird zeitweise Morphinist. Er war aufs Ganze gegangen, hatte dem Buch Familie und Karriere geopfert – und das scheinbar für nichts. Trotzdem bleibt er selbstgewiß. Er weiß um seinen Rang und ist wild entschlossen, sich diesen auch zu erschreiben. Sieben Jahre braucht er für das nächste Buch, lebt in bescheidensten Studentenbuden in der Schweiz und immer wieder auch für Monate im Ausland, London zumeist. Eine lange und schwere Zeit, in der er seinen Lebensunterhalt und die Alimente für die Kinder hauptsächlich mit Kunstkritiken verdient.
    Im Hause enden die Geschichten , das 1971 endlich erscheint, ist ein eher sprödes Buch, ein stiller Abschied von der Kindheit. Sieben Jahre sind für das Geschaffene ein ziemlich hoher Preis. Doch nun hat Nizon seine künstlerischen Mittel beisammen, er verarbeitet in Untertauchen das »spanische Abenteuer« und heiratet 1973 die Künstlerin Marianne Wydler. Die beiden gelten als Idealpaar, attraktiv, begabt, verliebt. Nizon versucht sich an einem halbwegs konventionellen Roman, benutzt erstmals eine Figur, einen Plot und ist beglückt, wie leicht ihm solche Arbeit am Faden einer Handlung von der Hand geht. Stolz gewinnt den Bremer Literaturpreis – und Paul Nizon schlittert in seine größte persönliche Krise.
    Der Erfolg hat auf ihn eine unerwartete Wirkung. Anstatt zu
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