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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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unerträglich wird und mehr und mehr einer Hundehütte gleicht, vielleicht ist so ein Stadtzimmerchen wirklich nichts für einen Hund. Das sagt mir ja immer auch mein ältester Sohn, Valentin, der jetzt immer mehr an mir herummeckert. Er brüllt mich an: »Du willst ja nur mit dem Hund angeben.« Und jetzt entfaltet er den ganzen Katalog der Vorwürfe. Der Zigarettenrauch, die dicke Luft im Zimmer (mein Sohn will mir seit langem das Rauchen abgewöhnen), der Benzingestank in der Stadt (er hat begreiflicherweise etwas gegen mein Alleinleben im Zentrum). Seine ganzen Verteidigungsreden, seine Anwaltschaft für den Hund ist auf mich gemünzt. Es bricht aus ihm hervor. Er meint mich, der Arme. Ich soll wieder zurückkehren und in ruhigen und »gesunden« Verhältnissen mit ihm und der ganzen Familie zusammenleben.
    Er wird jetzt gleich erscheinen, es ist der freie Mittwochnachmittag. Ich werde mit ihm zum Maler W. fahren und ihm vorführen, was ein städtisches Hundevergnügen ist. Wenn er ihn erst einmal in diesem herrschaftlichen Park mit Sira, der Jagdhündin, herumtollen sieht … Übrigens gipfeln die an mich adressierten Vorwürfe immer in der höhnischen Bemerkung, ich vermöge dem Hund ja nicht einmal die Hundemarke zu kaufen. Er meint damit meine ganze, in seinen Augen fragwürdige Existenz. Die Diskrepanz zwischen meinen Allüren und meinem realen Status, meinem elenden Habitus und Hausen.
    Und diese Diskrepanz ist beispielsweise auch an meinem Verhältnis zum Hund abzulesen. Überhaupt dreht sich alles immer mehr um den Hund. Der Hund – die Drehscheibe aller Dinge, der Hund – der Kreisel der Wahrheit, der Hund – der Verbindungsläufer. Der Hund, meine Fron und mein Halt. Also der Hund scheint mich jetzt aus dieser schönen Kammer Nähe Bahnhofstraße hinausmanövrieren zu können. Weil sich am Hund die Italiener stoßen?
    Ein, zwei Mal ist er mir entwischt und durch das enge, hölzerne Treppenhaus hinunter auf den einen Italiener losgegangen. Auf diesen schmierig lächelnden, säuerlich liebenswürdigen Kraus- und Habichtskopf meines Alters, der immer im Käseladen anzutreffen ist, wo er eine Art Gehilfenfunktion (neben anderem) ausübt. Ich versteh's nicht: Mein geradezu trottelhaft verschmuster Hund. Ein fürchterliches Gebell hat er angeschlagen, ich fliege die Treppen hinunter und treffe folgende aufregende Szene an: Der Italiener wacklig steif, mit einem Langholz auf den Hund einhauend, und Flen, ein gesträubtes schwarzes Etwas, Gebell spuckend, daß es fürchterlich dröhnt. Ein Ausweichen ist nicht möglich bei der Enge des Treppenhauses. Nun, auf beiden Seiten ist kein Schaden entstanden … Aber danach … kleine Italienerdelegation klopft an meiner Tür … es wird höflich, doch bestimmt auf Besserung der Zustände gepocht, ansonsten: Polizei.
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    Samstag nachmittag verdschungelt die Gasse italianesk. Während ich mit dem Rücken zum offenen Fenster sitze und den plempernden freien Tag registriere, die trödelnde Gasse, das Laufen mit nur halber Kraft etc. werde ich so langsam von italienischen Lauten gespickt und eingegarnt. Die hängen aus den Fenstern, die Köchinnen von der Bierhalle, Büglerinnen, die Matronen; die Männer der Schöpfung paradieren unten oder stehen herum, und nun geht das Gequatsche los, das Steigen von fragenden, singenden Stimmen, dann ein ganzes Geknatter von Antwort, Gelächter, die Stimmen klettern in den Tonleitern und Tonarten herum, die Luft wird tragfähig wie Wasser, das klingt, Gott, man könnte sich einbilden, im glücklichen Land des Südens zu sein. Dabei unterhalten sie sich vielleicht gerade über mich. Natürlich ist das schon ganz schön, aber eingedenk meiner
Lage, meines Provisoriums, meines baldigen Rausgeekeltseins … Der Ingrimm steigt.
    Diese dunkle Demut allenthalben. Und mir hätt's doch gefallen hier. An sich. Aber die Beengung wird unerträglich. Ich muß in dem schönen Zuckerzimmer über Hund und liegende Stapel von Papieren und Wäsche und Koffern steigen, wenn ich nur ein Buch vom Regal holen will; der Hund sucht sich mißlaunig eine andere Stelle, womöglich nimmt er nun den Platz ein, wo mein Stuhl zu stehen hat. Und jetzt komme ich nicht mehr an die Dinge ran, und jetzt muß ich den Wagen umparkieren, um mir keinen Strafzettel
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