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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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sittenstrenge Zeit – etwas überstürzt noch während des Studiums heiratet, und wird schon bald zum ersten Mal Vater. Unversehens findet sich der junge Nizon, der noch immer den Traum »vom ganzen , vom großen , vom reinen Leben« als einen Glückstraum hegt, in dem befriedeten Rahmen einer Kleinfamilie wieder. Er wird Kunstkritiker und Museumsassistent und schreibt an seinen Sachen in der Zeit, die ihm bleibt. Das geht so fruchtlos über Jahre. Kurz vor seinem dreißigsten Jahr überfällt ihn die an dieser Schwelle übliche Panik, und er zwingt sich, etwas Vorzeigbares für eine Publikation zusammenzustellen. Die gleitenden Plätze erregen 1959 ein kleines Aufsehen und veranlassen einen Förderer, bei Anwälten, Bankern und Ärz
ten Geld zu sammeln, mit dem sich Nizon für ein Jahr als Stipendiat ans Schweizer Institut in Rom begibt.
    Â»Ich bin nicht länger der Mann, der ich war«, beginnt Henry Miller den Wendekreis des Steinbocks und spielt damit auf seine Verwandlung durch Paris an. Vergleichbares gilt auch für Paul Nizon und Rom. Er kommt mit seiner Familie und vielen Idealen im Gepäck und geht, wie er sagt, als eine Art »heidnischer Hurenbock«. Er nennt diese Wandlung das »Ausschlüpfen des Barbaren«.
    Rom ist die Stätte einer Häutung, der Geburtsort des Schriftstellers. Natürlich quält den vorerst notorischen Müßiggänger in der Ewigen Stadt ein schlechtes Gewissen. Gegenüber seiner Frau, den beiden kleinen Kindern, seinen Förderern. Doch Rom lockt mit dem vielgestaltigen, dem schwelenden Leben. Nach Rom ist Paul Nizon für alles Bürgerliche verloren. Er weiß es nur noch nicht. Zurück in der Schweiz nimmt er zwar den Posten des Kunstressortleiters bei der Neuen Zürcher Zeitung an. Doch er kann sich in der vielversprechenden Laufbahn nur ganze acht Monate halten. Eine Dienstreise nach Barcelona läßt ihn endgültig ins freie Schriftstellerdasein entgleisen.
    Â»La Buena Sombra«, der gute Schatten, heißt das Nachtlokal, in dem Nizon sich über Wochen selbst verlorengeht. Man könnte meinen: Das in Rom ausgeschlüpfte Ich probt gegen den angestellten Zeitungsmann den Aufstand. Nizon ist als Künstler gerade erst zur Welt gekommen und will sich soviel als möglich von ihr einverleiben. In Barcelona wird es ihm gleich nach seiner Ankunft zur fixen Idee, eine Spanierin, eine Tänzerin im »Buena Sombra« zumal, in sich verliebt zu machen, obwohl er überhaupt kein Spanisch spricht. »Und staunend, nein: fassungslos wurde mir bewußt, daß mir alles an dieser Frau gefiel. Ich verschlang das Gesicht, ich tanzte in das Gesicht hinein, ich muß mich betragen haben wie ein Verrückter […]. Ich nahm in einer Art stummer
Wut Besitz von diesem Mädchen«, schreibt er zehn Jahre später in Untertauchen , einer Erzählung mit der er das »spanische Abenteuer«, eine Grunderfahrung seiner Existenz, in Literatur überträgt. Er mag sie sogleich geküßt haben. Aber mit der Liebe geht es nicht so schnell. Nizon treibt die Sache auf die Spitze, das Leben ist zu gewinnen oder zu verlieren , er sitzt jeden Tag in der Bar, der Zeitungsauftrag ist vergessen, auch die Familie, er verpraßt den Vorschuß und überhaupt sein ganzes Geld, hinterlegt schließlich seinen Schweizer Paß, der ihm vorerst Kredit verschafft und unterschreibt Rechnung um Rechnung. Er verwahrlost, wird verprügelt und ins Gefängnis geschafft, wähnt sich in Francos Spanien in ernsthafter Gefahr. Aber – und das ist bei so viel wahnwitziger Hartnäckigkeit kein Wunder – das Ziel wird erreicht. Erst dadurch kommt er wieder zur Besinnung und leiht sich in der Schweiz Geld, damit er seinen Paß auslösen kann. Er fährt zurück nach Zürich, um seinen Dienst bei der Zeitung zu quittieren – und sich seiner Frau zu stellen.
    Es fällt Paul Nizon nicht schwer, die bürgerliche Karriere und die damit verbundene Sicherheit aufzugeben. Schrecklich aber ist die Ablösung von der Familie. Er will – mehr als alles andere – ein möglichst großer, ein möglichst bedeutender Schriftsteller werden. Dies erscheint ihm in den gegebenen Verhältnissen, die vor allem Familienverhältnisse sind, nicht möglich. Schreiben bedeutet für ihn eine Existenzprobe, ein Wagnis, eine radikale Sache. Doch Radikalität
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