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Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dauert … ich bin doch jeden Tag hier. Die Hauptsache – die machen dich hier gesund …«
    Als Oberarzt Dr. Färber kam, um den Neueingang zu untersuchen, verabschiedete sich Franz Wottke von seiner Erna.
    »Bis morgen, Pummel«, sagte er. Sie wurde rot, weil Dr. Färber lächelte, und schämte sich, daß Franz so gar keine Hemmungen hatte.
    Dr. Hubert Färber setzte sich an ihr Bett, als Wottke gegangen war. Er schob die Decke zurück, das Nachthemd von Ernas Schulter und klopfte ihr beruhigend auf die Hände.
    »Nun wollen wir mal sehen, was wir mit Ihnen machen. Nehmen Sie bitte die Arme hoch, und falten Sie die Hände über dem Kopf.«
    Wie bei Dr. Hansen, dachte Erna Wottke. Sie tat, was man ihr gesagt hatte. Dr. Färber begann mit der Untersuchung.
    Bevor er das Zimmer 157 betrat, hatte er sich nach Hansens Aufzeichnungen informiert. Schon nach kurzem Abtasten fand er bestätigt, was Hansen festgestellt hatte. Da gab es kaum einen Zweifel, das sagte ihm die Erfahrung. Die Zelldiagnostik, die vor der Operation gemacht werden mußte, würde nur die Bestätigung der Untersuchung bringen: bösartig. Es bestand bereits die Gefahr, daß sich Krebszellen ins Rückenmark, in die Thoraxwand und – noch völlig symptomlos – im Gehirn angesiedelt hatten.
    Erna Wottke beobachtete das Gesicht Dr. Färbers, wie sie das Gesicht Dr. Hansens bei der Untersuchung angestarrt hatte. Aber auch hier bemerkte sie nichts. Keine Regung, kein Erschrecken. Wer hundertmal Krebs diagnostiziert und operiert hat, erschrickt nicht mehr vor dem Tod unter seinen Fingern.
    Dr. Färber richtete sich auf und schob das Nachthemd über den weißen Körper.
    »So«, sagte er. »Morgen früh um elf Uhr sehen wir weiter. Und daß Sie mir die Nacht schön schlafen …«
    Erna Wottke nickte gehorsam. »Ein bissel Angst hab' ich schon«, sagte sie leise.
    »Bei mir?« Dr. Färber lachte. Es war ein dunkles, suggestiv beruhigendes Lachen. Und plötzlich hatte Erna Wottke keine Angst mehr …
    Franz Wottke ging durch die riesige Klinik.
    Treppen, Block C ganz in Blau, lange Flure mit Glastüren, Block A gelb, wieder Treppen … Durchgang verboten … Zurück … Block F rot … Gänge, Flure, Treppen, Türen, eine Halle mit vielen Kabinentüren – Röntgenabteilung A … Franz Wottke wanderte weiter. Niemand hielt ihn auf.
    In offene Zimmer sah er hinein. Betten, Betten, Betten … und in jedem Bett ein kranker Mensch. Wieviel Elend es gibt, dachte Wottke. Und alle, die hier liegen, haben Väter, Mütter, Frauen oder Männer, die sich Sorgen um sie machen, wie ich um Erna. Ich bin nicht allein. Mit mir beten Hunderttausende: Herrgott, mach sie gesund …
    Als eine zugedeckte fahrbare Trage an ihm vorbeirollte, lautlos, als könne ein Quietschen oder Rattern den reglosen Körper unter dem weißen Laken aufwecken, wurde Wottke blaß und fragte die nächste Schwester nach dem Ausgang.
    Im Zimmer des ersten Oberarztes Dr. med. habil. Hubert Färber wurde unterdessen der Operationsplan des morgigen Tages festgesetzt. Man operierte in vier OPs mit gläsernen Plexiglasdächern, durch die von einer rundlaufenden Galerie Studenten und Ärzte dem Operationsverlauf zusehen konnten. Außerdem waren in den großen OP-Lampen Fernsehkameras eingebaut, die auf rund um die Kuppel stehenden Fernsehempfängern jeden Handgriff übertrugen.
    Die schwierigen Eingriffe behielt sich Professor Runkel selbst vor. Bis zum kritischen Moment ließ er seine Oberärzte zwar die Operation durchführen … dann trat er an den Tisch, machte – etwa bei einem Ventrikelseptumdefekt unter Anschluß der Herz-Lungen-Maschine – die notwendige Naht zur Schließung des Defekts, trat dann vom Tisch zurück, zog seine Handschuhe aus und verließ den OP. Die Oberärzte beendeten die Operation. Im Krankenblatt und in der Liquidation stand dann: Chefoperation.
    Der Chef einer Klinik ist ein kleiner, unumschränkter König.
    Der Neuzugang in Zimmer 157 war nur eine Nummer und eine Krankheit. Wer Erna Wottke war, interessierte niemanden. Auf dem Tisch des OPs ist jeder ein Fleisch, dem man eine erkannte Krankheit herausschneidet.
    Im Operationsplan stand Erna Wottke im OP 3 an zweiter Stelle.
    Oberarzt Dr. Färber schrieb neben ihren Namen mit Blaustift – Grünstift durfte nur der Chef benutzen – seine Anweisung: Elektrochirurgische Amputation der linken Brust.
    Noch am Abend wurden im Operationstrakt von einem Krankenpfleger an den schwarzen Tafeln vor den einzelnen OPs die Fälle
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