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Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nervös zwischen den Fingern. Der gesunde, kraftstrotzende Mann, der vor ihm saß, machte es ihm schrecklich schwer, zu sagen, was er sagen mußte. Er suchte nach Worten, nach Umschreibungen, nach einem vorsichtigen Vortasten zur Wahrheit … es war sinnlos, er sah es ein.
    »Wir werden Ihrer Frau den kleinen Knoten herausschneiden«, sagte Dr. Hansen. Er sah Wottke dabei nicht an. Er starrte auf ein Bild an der Wand. Ernst blickte darauf ein bebrillter Mann auf ihn herab. Professor Rechtsheim, sein großer chirurgischer Lehrer.
    Werkmeister Wottke nickte. »Sie hat's mir schon gesagt. Sicherlich wollen Sie von mir die Erlaubnis haben, Herr Doktor. Natürlich sage ich ja. Raus mit dem Ding. Dann ist Ruhe.«
    »Es kann aber sein, daß dieser Knoten in der Brustdrüse einige Ausläufer hat. So wie Wurzeln, verstehen Sie? Das zeigt sich alles erst, wenn wir hineinsehen können.«
    »Na klar.« Franz Wottke lächelte zuversichtlich. »Sie werden's schon machen, Herr Doktor. Meine Erna schwört auf Sie!«
    »Die Operation wird Herr Oberarzt Dr. Färber durchführen. Vielleicht ist sogar Herr Professor Dr. Runkel dabei.«
    »Der berühmte Professor? Wegen so 'nem Knoten?« Wottke lächelte verlegen. »Ob ich das bezahlen kann, weiß ich nicht. Ich bin nur Mitglied der Ortskrankenkasse …«
    Auf einmal fuhr sein Kopf hoch. In seine gutmütigen Augen sprang Schrecken. Er riß die Hände aus seinen zusammengepreßten Knien heraus und knöpfte sich zitternd die Jacke zu. Es war eine sinnlose Bewegung, aber er wiederholte sie immer wieder … Jacke auf, Jacke zu, Jacke auf, Jacke …
    »Der Professor …«, sagte Wottke leise. »Herr Doktor, jetzt … jetzt begreife ich. Ist's etwa doch …« Er schluckte. Seine Stimme schwamm. »Herr … Herr Doktor …«, stammelte er. »Was ist denn mit meiner Erna …?«
    »Wir dürfen jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken, lieber Herr Wottke.« Dr. Hansen sah wieder auf das strenge Gesicht, das von der Wand zu ihm herabsah. Was hätten Sie gesagt, Herr Professor Dr. Rechtsheim? Sie waren ein so blendender Chirurg, ein begeisternder Lehrer, ein fabelhafter Mensch. Sie hätten diesem Werkmeister Wottke vielleicht auf die Schulter geklopft und gesagt: ›Nun hör mal zu, Franz. Wir sind Männer und keine Waschlappen. Wir haben alle draußen im Dreck gelegen, im Schützengraben, im MG-Loch, im Erdbunker. Und wir haben neben und vor uns Hunderte sterben sehen. Nein, nicht sterben … krepiert sind sie. Da haben wir den Hintern zusammengekniffen und uns gesagt: Mist! Mehr konnten wir nicht tun. Siehst du, Franz … und bei deiner Erna können wir auch nicht mehr viel tun. Das ist auch so ein Mist!‹
    Immer war Professor Rechtsheim so durchgekommen. Seine derbe Wahrheit überzeugte. Sie war irgendwie logisch. Das Gefühl der Unabwendbarkeit, des Schicksals, wie man es nannte, verhinderte eine Panik. Der Mensch wuchs in sein Unglück hinein.
    Dr. Hansen sah Werkmeister Wottke an. Er war kein Professor Rechtsheim. Er litt mit, wenn er die großen, starren Augen Wottkes sah, dieses Nichtbegreifen einer Wahrheit, die das Leben grundlegend veränderte.
    »Krebs, Herr Doktor?« sagte Wottke leise. Er würgte an dem Wort.
    »Vielleicht …«
    »Verschweigen Sie mir nichts. Ich kann's ertragen, Herr Doktor. Ich … ich …«, Wottke schluckte. »Wenn's nicht zu ändern ist …«
    »Ich fürchte nein. Wir wissen nur noch nicht, wie weit die Krankheit vorgedrungen ist.« Ich lüge schon wieder, dachte Dr. Hansen. »Vertrauen Sie darauf, daß wir bei der Früherkennung des Brustkrebses bis zu achtzig Prozent Heilungen haben.«
    »Ist es denn früh genug … bei Erna …?« fragte Wottke. Seine Stimme klang kindlich hell. Dr. Hansen nickte langsam.
    »Wir wollen es hoffen, Herr Wottke. Nächsten Donnerstag wissen wir mehr.«
    »Donnerstag.« Wottke knöpfte seine Jacke wieder auf … zu … auf … zu. »Das sind noch fünf Tage … Darf ich mit ins Krankenhaus, Herr Doktor?«
    »Sie können im Wintergarten warten. Selbstverständlich.«
    »Ich werde mir Urlaub nehmen. Und meine Schwester wird kommen und für die Kinder sorgen. Was kostet denn die Zweite Klasse, Herr Doktor? Ich möchte gern draufzahlen … Erna soll es gut haben. Ein schönes Zimmer … und nicht so viele andere Patienten. Und das Essen soll auch besser sein auf der Zweiten Klasse. Das ist doch zu machen, wenn ich draufzahle, nicht wahr, Herr Doktor?«
    »Natürlich. Ich werde mit Herrn Doktor Färber sprechen. Aber lassen Sie Ihre
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