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Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Hand auf Hansens Schulter. »Warum haben Sie eigentlich Frau Färber zur Operation überredet? Man erzählte sich doch in Kollegenkreisen, Sie würden alles ablehnen, was mit dem Skalpell gegen den Krebs vorgeht!«
    »Nie, Herr Professor! Solange ein Krebs operabel ist, gehört er in die Chirurgie! Das habe ich bei jeder Gelegenheit betont! Erst der inoperable Krebs, bei dem alles versagt, ist …«
    »Ich glaube, man hat Sie falsch verstanden!« sagte Runkel ernst. »Ich habe immer gedacht, Sie hätten ernstlich etwas gegen uns Chirurgen und Sie wollten der alleinseligmachende Wunderknabe sein …«
    »Wir hätten eher miteinander sprechen sollen, Herr Professor …«
    »Hätten wir! Aber es ist nachzuholen!« Runkel ließ sich den OP-Kittel ausziehen. »Ich komme Frau Färber bei Ihnen besuchen … da können wir uns einmal in Ruhe aussprechen. Nur in einem Punkt werden wir nie zusammenkommen … daß der Krebs nicht eine Lokalerkrankung sein soll! Sie werden mir nie das Gegenteil beweisen können!«
    Mit großen Schritten verließ Professor Runkel den OP. Zwei junge Assistenten rissen die Tür auf. Hansen sah ihm nach, wie er im Vorraum vom Zweiten Oberarzt eine Liste überreicht bekam. Der Operationsplan des Vormittags.
    Er will kommen, dachte Hansen. Jetzt, wo es bei mir zu spät ist …
    Im Warteraum saß Professor Färber. Er saß dort wie alle Ehemänner, die auf ein Ergebnis warten. Nervös, rauchend, blaß, obgleich er jeden Handgriff kannte, der im OP an Herta getan wurde. Eine Operation, die er selbst einige hundert Male ausgeführt hatte.
    Durch die Scheibe zum Flur sah er Runkel aus dem OP-Trakt kommen. Wie vor Jahren der kleine Werkmeister Franz Wottke, preßte auch Färber das Gesicht gegen das Glas und musterte Runkels Miene. Sie war gelöst und freudig. Aufatmend ließ sich Färber zurückfallen in den knarrenden Korbsessel.
    Natürlich, dachte er. Bei Herta war die Operation gar kein Problem. Aber wenn der Krebs wirklich keine Lokalerkrankung ist, wenn sich irgendwo Metastasen bilden oder schon gebildet haben … wenn Hansen wirklich recht hat, daß der ganze Körper krank ist? Dann hat Runkel nur eine Manifestation weggeschnitten, und der schleichende Tod sitzt noch in Hertas Körper.
    Die Angst griff wieder nach ihm. Er sprang auf, rannte hinaus und stieß die Milchglastür auf, durch die er jahrelang als Erster Oberarzt gegangen war, begleitet von einem Schwarm von Assistenten und Famuli, denen er im Gehen die kommende Operation erklärte. Im OP-Flur stieß er auf Hansen, der gerade aus dem Vorbereitungsraum kam.
    »Sie nähen noch«, sagte er, bevor Färber etwas sagen konnte. »Es ist alles in Ordnung …«
    »Nehmen Sie Herta zu sich?« stieß Färber heiser hervor.
    »Ich habe es Ihnen doch versprochen. Wir haben gar keinen Grund zur Sorge.«
    »Auch wenn es … wenn es … eine chronische Allgemeinerkrankung ist …?«
    »Aber Herr Professor! Gerade jetzt darüber zu sprechen.« Hansen sah Färber groß an.
    Färber wischte sich über das bleiche Gesicht. Er sah durch die Pendeltür in den Vorraum. Zu gerne wäre er eingetreten, um zu sehen, wie der neue Erste Oberarzt, sein Nachfolger, die Nähte setzte. Aber er war nicht steril, und er hatte auch nichts mehr in dem vertrauten OP zu suchen. Er war Angehöriger einer Patientin, weiter nichts.
    »Man sollte in der Medizin nicht so egoistisch sein!« sagte Färber laut. Hansen hob die Hand.
    »Sagen Sie das nicht so laut, Herr Professor … man würde Sie anspucken, wenn es bekannt wird!«
    »Alles braucht seine Zeit, Hansen. Auch eine kombinierte Krebstherapie. Die Trägheit des menschlichen Gehirns ist schrecklich!«
    »In diesem Falle ist sie hunderttausendfach tödlich!«
    Professor Färber schwieg. Er legte nach einem kurzen, kaum merkbaren Zögern den Arm um Hansens Schulter, wie einem guten Freund.
    »Kommen Sie«, sagte er, im tiefsten bewegt. »Es ist nicht unsere Schuld …«
    Am Tage, an dem Herta in die Vier-Betten-Klinik gebracht wurde, war Hansen unterwegs. Aber er machte keinen Hausbesuch … er war an das Ende der kleinen Stadt gefahren und dann auf den Friedhof gegangen.
    Von der Bank, die vor einem Grab stand, fegte er den verharschten Schnee und setzte sich. Dann faltete er die Hände und sah auf den langen grauen Stein mit den goldenen Buchstaben.
    Berta Hansen … Seine erste Patientin damals, als er die Vier-Betten-Klinik eröffnet hatte. Er hatte Berta Hansen acht Monate länger Leben geben können.
    Hansen schloß
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