Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Barbaren von Ragnarok

Die Barbaren von Ragnarok

Titel: Die Barbaren von Ragnarok
Autoren: Tom Godwin
Vom Netzwerk:
dem sich die alten Ressentiments verbargen, auf einmal unerträglich. Er unterbrach die Verbindung ohne ein weiteres Wort, schnallte sich an und nickte Norman zu.
    »Alles klar«, sagte er. »Laß uns von hier verschwinden.«
    Die ›Ragnarok‹ lag schon auf dem neuen Kurs. Nun beschleunigte sie kontinuierlich, bis der Andruck ein Zehnfaches der Erdschwere betrug. Sie wurden härter und härter in ihre Sitze gepreßt, bis ein Punkt erreicht war, der selbst für einen Ragnaroker die Grenze des Erträglichen darstellte. Dort hörte die Beschleunigung auf, und die ›Ragnarok‹ schleuderte ihren mächtigen schwarzen Rumpf zurück zu der Welt, nach der sie benannt war.
    Die Stunden krochen dahin. Obwohl der Kommunikator ständig besetzt war und immer neue Versuche unternommen wurden, mit der Heimatwelt in Verbindung zu kommen, gab es keine Nachricht von Ragnarok. Athena, etwa vierzig Flugstunden von Ragnarok entfernt, wenn man die geschätzte Reisegeschwindigkeit des Phantomschiffs zugrunde legte, war in höchster Aufregung und gab fast unaufhörlich Meldungen zur Erde durch. Nachdem sechzig Stunden seit dem Angriff auf Ragnarok verstrichen waren, begann die Hysterie langsam abzuklingen, und die ›Ragnarok‹ empfing eine Botschaft von der Erde:
    »Sollten die Beobachtungsstationen der Region Athena nach Ablauf weiterer sechzig Stunden keine Spur des fremden Schiffes ausgemacht haben, so werden zwei der dort stationierten Kreuzer zur Hilfeleistung nach Ragnarok entsandt werden.«
    Die ›Ragnarok‹ gab eine kurze Antwort: »Danke, aber wir werden lange vor den Kreuzern dort sein.«
    John Humbolts Gedanken kreisten unaufhörlich um die eine Frage: Warum hatte das Gespensterschiff kein Interesse für das reiche Athena gezeigt und nur das unfruchtbare Ragnarok angegriffen? Was konnte der Zweck dieses Angriffs gewesen sein? Und dann dachte er wieder an Lora, wie er sie vor sechs Monaten zuletzt gesehen hatte, kurz vor dem entscheidenden Angriff auf das Imperium der Gern, der entweder den Sieg oder die Vernichtung bringen würde. Sie hatte gelächelt, als er sich an jenem kalten grauen Morgen verabschiedet hatte. Sie hatte versucht, sich nichts anmerken zu lassen und so zu tun, als ob er nur für die Dauer des Tages abwesend sein würde. Aber dann waren ihr die Worte im Hals steckengeblieben, und ihre Tränen hatten sich mit dem feinen Regen auf ihren Wangen vermischt, und sie hatte geschluchzt: »Johnny, ich habe Angst. Ich habe Angst, daß wir uns niemals wiedersehen werden …«
    Es war Abend, als das Schlachtschiff Ragnarok erreichte, und die Schneewolken eines frühen Winters verhüllten den halben Kontinent. Eine angespannte, nervöse Stille verbreitete sich an Bord, während das Schiff in die hochreichende Wolkendecke eintauchte und tiefer sank, und es gab keinen, der sich nicht die Frage stellte, ob alle tot waren, die in der Heimat zurückgeblieben waren.
    Dann brach das Schiff durch die Wolken, und sie sahen die Stadt unter sich.
    Sie schien unverändert, und die verschneiten Straßen waren belebt. Viele Leute hörten das Brüllen des niedergehenden Schiffes und kamen aus den bescheidenen Steinhäusern, strömten durch die Straßen und hinaus zum Landeplatz. John fühlte eine ungeheure Erleichterung, wie das plötzliche Entspannen einer bis zum Zerreißen beanspruchten Bogensehne. Er schaltete die Sprechanlage ein und sagte für alle, die auf ihren Stationen Dienst taten und nicht sehen konnten, was gefunden worden war:
    »Die Stadt sieht aus wie immer – alle kommen gerannt, um uns zu empfangen.«
    Er blickte wieder hinunter auf die Stadt und dann zu dem benachbarten Hügel, wo der Betonbunker des Desintegrators gewesen war, in dem auch der Überraum-Kommunikator seinen Platz gehabt hatte. Vom Bunker war nichts zu sehen, und selbst der Hügel war nicht mehr derselbe; seine Kuppe war weggeblasen, und an ihrer Stelle gähnte ein mächtiger Krater, der dem Rest des Hügels das Aussehen eines erloschenen kleinen Vulkans verlieh.
    Die ›Ragnarok‹ landete auf der markierten Fläche am Rand der kleinen Stadt, und die Bevölkerung brandete heran, kaum daß die Triebwerke verstummt waren. Die Rampe wurde ausgefahren, und ihr Ende hatte den Boden noch nicht berührt, als die ersten Besatzungsmitglieder schon hinunterliefen, um ihre Familien zu begrüßen.
    Aber der überschwengliche Jubel blieb aus. Es herrschte eine gedrückte Stimmung, die nicht einmal von der Wiedersehensfreude glücklich vereinter Familien
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher