Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)

Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)

Titel: Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
Autoren: Robert Ludlum
Vom Netzwerk:
wahr?« Rinehart hielt auf eine Fußgängerunterführung zu, die zwei Hälften eines Platzes verband, der von einer verkehrsreichen Straße durchschnitten wurde. »Wir geben gern vor, nicht mehr von dem Bösen zu sprechen, weil wir über diesen Begriff hinausgewachsen sind. Aber sind wir das? Ich vermute, dass unsere Motivation geradezu steinzeitlich ist. Wie Angehörige eines primitiven Volksstamms bilden wir uns ein, das Ding zum Verschwinden zu bringen, indem wir seinen Namen nicht aussprechen.«
    »Es liegt an diesem Gesicht«, murmelte Belknap.
    »Ein Gesicht, das nur Helen Keller hätte lieben können«, sagte Rinehart und tat so, als lese er mit den Fingern Blindenschrift.
    »Wie er einen ansieht, meine ich.«
    »Oder angesehen hat« , antwortete Rinehart, indem er die Vergangenheitsform betonte. »Ich bin mehrmals mit diesem Mann aneinandergeraten. Er war ein sehr gefährlicher Gegner. Und wie Sie sagen … böse. Trotzdem hat nicht alles Böse ein Gesicht. Das hiesige Ministerium für Staatssicherheit ist auf Männer wie Lugner angewiesen. Es ist ebenfalls eine Form des Bösen. Monumental und gesichtslos.« Rinehart sprach weiterhin ruhig, aber er versuchte nicht, die Leidenschaft in seiner Stimme zu verbergen. Der Mann war cool – vielleicht der coolste Typ, der Belknap je begegnet war –, aber er war kein Zyniker. Nach einiger Zeit erkannte Belknap noch etwas anderes: Der Gesprächsfluss des anderen diente ihm nicht nur dazu, sich selbst auszudrücken, sondern war ein Versuch, einen jungen Agenten, der soeben einen Schock erlitten hatte, abzulenken und zu beruhigen. Sein Schwatzen war reine Menschenfreundlichkeit.
    Zwanzig Minuten später näherten sich die beiden Männer – allem Anschein nach zwei Arbeiter – dem Gebäude der US-Botschaft, einem Marmorbau im Schinkel-Stil, jetzt durch Umweltverschmutzung geschwärzt. Vereinzelt fielen große, schwere Regentropfen.
Von den Gehsteigen stieg ein vertrauter lehmiger Geruch auf. Belknap beneidete Rinehart um seine Mütze. Drei Vopos behielten die Botschaft von ihrem Posten auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus im Auge, zogen ihre Nylonjacken zurecht und bemühten sich, ihre Zigaretten nicht nass werden zu lassen.
    Die beiden Amerikaner näherten sich der Botschaft, und Rinehart zog die Klappe der linken Brusttasche seines Overalls hoch, die mit Klettband gesichert war. Er zeigte dem Wache haltenden US-Marineinfanteristen ein blaues codiertes Namensschild. Ein rasches Nicken, dann fanden die beiden sich hinter dem Konsulatszaun wieder. Belknap spürte einige weitere Regentropfen, während andere um ihn herum auf den Asphalt klatschten, der sich allmählich dunkel färbte. Das schwere Stahltor fiel krachend zu. Noch vor Kurzem war ihm der Tod gewiss erschienen. Jetzt waren sie in Sicherheit. »Gerade fällt mir ein, dass ich Ihre erste Frage nie beantwortet habe«, sagte er zu seinem Begleiter.
    »Ob Sie Freund oder Feind sind?«
    Belknap nickte. »Also gut, einigen wir uns darauf, dass wir Freunde sind«, sagte er in einer plötzlichen Anwandlung von Dankbarkeit und Wärme. »Weil ich mehr Freunde wie Sie brauchen könnte.«
    Der hochgewachsene Agent bedachte ihn mit einem Blick, der freundlich und abschätzend zugleich war. »Vielleicht genügt einer«, sagte er lächelnd.
    Später – Jahre später – sollte Belknap Grund haben, darüber nachzudenken, wie eine kurze Begegnung den weiteren Lebensweg eines Mannes bestimmen konnte. Ein schicksalhafter Augenblick, der das Leben in ein Davor und ein Danach teilte. Trotzdem war es unmöglich, außer mit einigem Abstand, die Bedeutung dieses Augenblicks zu erkennen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wurde Belknap ganz von dem überwältigenden, aber trotzdem banalen Gedanken beherrscht: Heute hat mir jemand
das Leben gerettet , als sei durch diese Tat lediglich die Normalität wiederhergestellt, als sei jetzt eine Rückkehr zum alten Stand der Dinge möglich. Er wusste nicht – konnte es nicht wissen –, dass sein Leben sich unwiderruflich verändert hatte. Auf unmerkliche und trotzdem zugleich dramatische Weise hatte seine Bahn eine andere Richtung genommen.
    Als die beiden Männer unter die olivgrüne Markise an der Längsseite des Konsulatsgebäudes traten, trommelte Regen auf das mit Kunststoffbeschichtete Gewebe, von dem das Wasser in Strömen ablief. Der Wolkenbruch hatte eingesetzt.

Teil eins

Kapitel eins

ROM
    Nach alter Überlieferung wurde Rom auf sieben Hügeln erbaut. Der Janiculus,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher