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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs
Autoren: Tania Douglas
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Nacht, damit der aufsteigende Rauch nicht auffiel.
    Marie-Provence streckte den schmerzenden Rücken.
    Es war schön, wieder zu Hause zu sein.
    ***
    «Wie geht es oncle Constantin?», fragte Marie-Provence, während sie ihre Tante zur Begrüßung behutsam umarmte.
    Tante Bérénice legte kurz die Stirn an die Schulter ihrer Nichte. Sie stieß einen Seufzer aus, und die Bewegung ihres Brustkorbes
     ließ Marie-Provence deutlich die Rippen der älteren Frau unter der dunkelgrauen Moiré-Seide spüren. Ich muss unbedingt bald
     wieder ein Stück fettes Schweinefleisch auftreiben, dachte Marie-Provence besorgt.
    «Constantin hatte heute wieder eine Krise. Aber er erholt |35| sich rasch, Gott sei Dank.» Tante Bérénice lächelte dünn. «Er spricht sogar davon, zum Diner zu erscheinen.»
    Marie-Provence hielt den Blick gesenkt, während sie sich ihre Kopfbedeckung von den Haaren zog. Der Anblick, den ihr Onkel
     gestern Abend geboten hatte, gefesselt und geknebelt auf seiner dünnen Matratze, steckte ihr noch immer in den Knochen.
    «Wir wussten uns nicht mehr zu helfen, meine Liebe», sagte Tante Bérénice und nestelte an den winzigen Perlmuttknöpfen ihres
     Kleides.
    «Je sais, ma tante», sagte Marie-Provence sanft. «Ich weiß. Bitte glauben Sie nicht, ich würde Ihnen insgeheim Vorwürfe machen.»
    «Der liebe abbé hat sich auch dieses Mal neben ihn gesetzt und ihm aus der Bibel vorgelesen, bis es vorüber war und Constantin
     wieder Macht über seinen Verstand hatte. Fünf Stunden lang. Damit er sich nicht verlassen fühlte. Aber ich – ich habe es nicht
     ertragen. Diesen Anblick   …» Tante Bérénice schlug die Hände vor das geschminkte Gesicht.
    Marie-Provence wandte sich ihr zu. «Ma tante!»
    «Ich schäme mich so. Zum ersten Mal in meinem ganzen Leben muss ich mich für etwas schämen!»
    Marie-Provence strich über den Arm der Tante. Ihr Hals war wie zugeschnürt, während sie vergeblich nach Worten suchte, um
     sie zu trösten.
    Seit fast zwei Jahren schon lebte sie mit tante Bérénice und oncle Constantin zusammen. Die beiden waren die einzige Familie,
     die Marie-Provence noch hatte.
    Dabei war die erste Zeit der Revolution für sie und ihre Eltern glimpflich verlaufen. Marie-Provence’ Vater Guy, der sich
     im Unabhängigkeitskrieg der Vereinigten Staaten von Amerika ausgezeichnet hatte, war durchaus aufgeschlossen für die sich
     dort verbreitenden demokratischen Ideen. Auch hatte er die in Frankreich laut werdenden Forderungen des Volkes nach Steuersenkungen,
     Wegfall überholter feudaler Strukturen und gerechter Aufteilung der Ländereien unterstützt. Nichtsdestotrotz war er stets
     königstreu geblieben: |36| Seiner Meinung nach gehörte ein Bourbone an die Spitze des neugeordneten Staates.
    Die Verhaftung von Louis XVI. hatte Guy de Serdaine von einem Tag auf den anderen in das Lager der Oppositionellen katapultiert.
     Als Soldat verbot er es sich jedoch, seine Heimat zu verlassen, wie so viele tausend andere, die sich mit dem neuen Regime
     nicht anfreunden konnten. Er schloss sich einer Untergrundbewegung an, die für den König kämpfte – allerdings nicht ohne zuvor
     sein einziges Kind nach Marseille zu schicken, zu der Schwester seiner Frau und deren Mann, in die vermeintliche Sicherheit.
    Doch nach einem ruhigen Jahr holten sie die Ereignisse im Süden ein. Marseille erhob sich gegen die Potentaten der Revolution,
     wurde belagert und unterworfen. Marie-Provence’ Tante und Onkel wurden gezwungen, ihr Heim Hals über Kopf zu verlassen. In
     ihrer Not beschlossen sie, nach Paris zu ziehen, um bei Marie-Provence’ Eltern Zuflucht zu suchen. Eine folgenschwere Entscheidung,
     wie sich im Nachhinein herausstellen sollte.
    Marie-Provence betrachtete ihre weinende Tante mit schwerem Herzen. So viel hatten sie schon miteinander durchlebt! Tante
     Bérénice und oncle Constantin waren durch Sorgen, Verfolgung und Entwurzelung jäh gealtert und längst nicht mehr in der Lage,
     die Beschützerrolle zu erfüllen, die Marie-Provence’ Vater ihnen einst zugedacht hatte. Dennoch empfand Marie-Provence große
     Zuneigung für die beiden.
    Tante Bérénice hatte ein Taschentuch gezogen. «Was macht diese Revolution bloß aus uns, ma nièce? Wird es damit enden, dass
     wir allesamt verrohen und mit den Horden da draußen Brüderschaft trinken?» Kaum hörbar murmelte sie: «Lieber bringe ich mich
     um, Gott verzeih mir.»
    Marie-Provence starrte ihre Tante erschrocken an. Doch bevor sie
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