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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs
Autoren: Tania Douglas
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etwas sagen konnte, erschien eine dunkle Gestalt an der Tür
     des Zimmers.
    «Hörte ich gerade den Namen unseres Herrn?», fragte der abbé d’If. «Das lässt mich hoffen, nicht unwillkommen |37| zu sein!» Der für gewöhnlich eher schweigsame Geistliche schwenkte übermütig ein graubraunes Fellbündel hin und her. «Schauen
     Sie, was ich heute im Wald gefunden habe!»
    «Kaninchen!», rief Marie-Provence erfreut.
    «Zwei Stück», nickte der Geistliche stolz. «Und einen Marder.» Er kratzte sich den blonden Schopf. «Wobei mir nicht bekannt
     ist, ob das Fleisch dieser kleinen Jäger zum Verzehr geeignet ist. Was meinen Sie?»
    «Wir werden es herausfinden, Monsieur», lachte Marie-Provence. «Sie verdienen auf jeden Fall die Auszeichnung für den geschicktesten
     Fallensteller!»
    «Um ehrlich zu sein, gebührt mir nur das halbe Lob. Das andere Langohr habe ich einem Konkurrenten entwendet.»
    «Aber Monsieur l’abbé!», stieß tante Bérénice aus. Sie betrachtete den zartgebauten Mann mit einer Mischung aus Betroffenheit
     und Verwirrung.
    Marie-Provence streichelte die blaugeäderte Hand ihrer Tante. Sie konnte es der Vierundsechzigjährigen nicht verübeln, wenn
     sie mit den Veränderungen ihrer Umwelt nicht mehr mitkam.
    Der abbé machte eine vollendete höfische Verbeugung. «Verzeihung, Madame la comtesse. Ich bin untröstlich. Ich benehme mich
     wie ein Flegel.»
    Die Verunsicherung schwand aus tante Bérénices Blick. Sie neigte gnädig den Kopf. «Schon gut, Monsieur, wir wissen, was wir
     diesen Zeiten zu verdanken haben – reden wir nicht mehr darüber.» Sie wandte sich zur Tür und sagte zu Marie-Provence: «Ich
     gehe jetzt zu Constantin. Wir sehen uns zum Abendessen, meine Liebe.»
    Der abbé sah ihr nach, bis sie den Raum verlassen hatte. «So gut die Jagd heute war, so schwierig könnte das Geschäft in Zukunft
     werden, Mademoiselle», sagte er. «Täglich kommen neue Wilderer in unseren Wald. Nicht nur, dass die Tiere immer scheuer werden
     – es wächst auch die Gefahr, dass wir entdeckt werden.»
    Marie-Provence nickte besorgt. «Wir müssen noch vorsichtiger |38| sein. Nehmen Sie am besten ab jetzt Monsieur Clément oder Monsieur de Vezon zur Begleitung mit, wenn Sie sich im Freien aufhalten.
     Und die geladene Pistole.»
    Der abbé erbleichte. «Ich würde niemals   …»
    «Das können Sie ja Ihrem Begleiter überlassen.» Marie-Provence sah den Geistlichen ernst an. «Glauben Sie mir, Monsieur l’abbé,
     ein Leben ist nichts mehr wert, da draußen. Ich möchte Ihnen den Bericht von dem ersparen, was sich in Paris abspielt. Doch
     ich will Ihnen nichts vormachen: Die Soutane eines Geistlichen ist heute kaum etwas anderes als eine wandelnde Zielscheibe.»
    «Das weiß ich doch, Mademoiselle.» Der abbé zuckte die Schultern und sagte müde: «Was, glauben Sie, ist damals passiert, als
     der Unfall mit dem Wagen den Vezons, Clément und mir plötzlich die Flucht ermöglichte? Wir waren alle bereits verhaftet und
     auf dem Weg zum Tribunal! Wir waren der Guillotine geweiht! Denken Sie vielleicht, die Garden hätten uns da unter Segenswünschen
     unsere Haut retten lassen?» Er befühlte unwillkürlich eine Narbe an seinem Kinn.
    Marie-Provence schwieg. Sei es aus Aberglaube, die Aufmerksamkeit eines launischen Schicksals auf ihr fragiles Versteck zu
     lenken, sei es, um keine schmerzhaften Erinnerungen zu wecken – die Gemeinschaft mied es üblicherweise, über die Ereignisse
     kurz vor ihrem Zusammentreffen in Maisons zu sprechen.
    Sie selber war mit ihrer Tante und ihrem Onkel nach der Flucht aus Marseille und den dramatischen Ereignissen bei ihrer Rückkehr
     nach Paris zu den fünf Menschen gestoßen, die der Zufall zusammengebracht hatte. Eine alte Dienerin von Marie-Provence’ Eltern,
     die zugleich eine Kusine von Ernestine war, hatte Marie-Provence, ihrer Tante und ihrem Onkel das Versteck gezeigt. Der abbé,
     das Ehepaar Vezon samt ihrer alten Dienerin Ernestine und der Händler Clément lebten damals schon seit einem ganzen Jahr in
     Maisons und hatten sich dort zu einer Gesellschaft zusammengeschlossen, die mit aller Kraft die politischen Umwälzungen |39| ignorierte. Es war, als sei die Zeit innerhalb des Schlosses angehalten worden. Die drei Neuankömmlinge waren verblüfft gewesen,
     eine Welt vorzufinden, die sie schmerzlich vermissten, und hatten sich in ihr sofort heimisch gefühlt.
    «Ich werde das Wild in die Küche bringen», meinte der abbé. «Für
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