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Die Baeren entdecken das Feuer

Die Baeren entdecken das Feuer

Titel: Die Baeren entdecken das Feuer
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wildes Phantasieprodukt. Je mehr ich über diese Theorie nachdachte, desto besser gefiel sie mir. Die ›kleine Stadt im Mittelwesten‹ konnte Iowa sein, wo ein bekannter Schriftstellerworkshop abgehalten wird; oder irgendeine von unzähligen Collegestädten, zum Beispiel Crawfordsville, Indiana (Wabash), Gambier, Ohio (Kenyon) oder Yellow Springs, Ohio (Antioch). Oder sogar Indianapolis oder Cincinnati. Für einen New Yorker – und alle Schriftsteller, selbst wenn sie in Massachusetts leben, sind New Yorker (in gewisser Hinsicht) – sind Indianapolis und Cincinnati kleine Städte. Oder wenn man es richtig heimelig haben will, dann ist da Evansville, Indiana, mit 130.500 Einwohnern zweifellos eine ›kleine Stadt‹ (Owensboro mit seinen 52.000 Einwohnern geht nur mit knapper Not noch als Stadt durch) und eine, die sogar einen Autor wie John Updike anziehen könnte.
    Infolge all dessen kam ich elf Minuten zu spät an meinen Arbeitsplatz zurück. Aber was können sie schon machen – eine Zeitsekretärin feuern?
    Das war am Donnerstag, dem 18. Mai. Ich verbrachte das Wochenende wie üblich, und am Montagabend, gleich nach Einsetzen des ermäßigten Tarifs, kam der wöchentliche Anruf von Alan, meinem Ex-Verlobten. »Schon eine Stelle gefunden?« fragte er (obwohl er genau wußte, daß meine Mutter es ihm bereits mitgeteilt hätte, wenn es so gewesen wäre). Dann fügte er hinzu: »Hast du schon gehört, daß Saul Bellow nach Owensboro gezogen ist?«
    »Du meinst John Updike«, sagte ich.
    »Nein, das war letzte Woche. Saul Bellow ist erst gestern hergezogen.« Alan leitet zwei von den vier Spirituosengeschäften seines Vaters. Was uns immer noch miteinander verbindet, ist das Interesse an Büchern und Literatur.
    »Wie kann denn das sein?« entgegnete ich. Bei jedem anderen hätte ich angenommen, er habe sich die Sache ausgedacht, aber Alan denkt sich nie etwas aus, was ihm vermutlich zur Ehre gereicht.
    Ich dachte daran, Janet anzurufen, aber da ich immer diejenige bin, die anruft, klingelte ich am nächsten Vormittag vom Büro aus meine Mutter an. Ich arbeitete gerade als Zeitsekretärin für eine Gutachterfirma im Versicherungswesen, die einen Pauschaltarifanschluß hatte. »Mutter, ist Saul Bellow nach Owensboro gezogen?« fragte ich ohne Umschweife.
    »Ja, Liebes, das ist er. Er wohnt in einem dieser Apartmenthäuser in der Scherm Road. Wo damals Wallace Carter Cox und Loreena Dyson gewohnt haben, gleich nachdem seine Scheidung durch war.«
    »Warum hast du mir nichts davon erzählt?«
    »Na ja, du schienst ja nicht sehr beeindruckt, als John Updike hergezogen ist, Liebes, deswegen dachte ich, daß es dich nicht besonders interessiert. Schließlich hast du dir in New York ein neues Leben aufgebaut.«
    Darauf ging ich nicht weiter ein. »Es ist wirklich sehr gewissenhaft von dir, daß du dich darüber, wo jeder wohnt, auf dem laufenden hältst«, sagte ich scherzend.
    »Wenn eine Berühmtheit in eine Stadt wie unsere zieht«, erwiderte sie, »bekommt das jeder mit.«
    Das erstaunte mich. Ich nahm nicht an, daß die Leute in Owensboro – von Alan einmal abgesehen – überhaupt wußten, wer Saul Bellow ist. Ich bin mir ziemlich sicher, daß dort keine zwanzig Leute seine Bücher gelesen haben. Ich selbst habe auch nur eins gelesen, sein neuestes. Die andere Janet liest nur Sachbücher.
    In der Woche darauf zog Philip Roth nach Owensboro. Das erfuhr ich von Janet, die mich anrief, etwas ganz Neues bei ihr, da normalerweise ich es bin, die sich Mühe gibt, in Verbindung zu bleiben, von der Geldausgabe einmal ganz zu schweigen.
    »Rate mal, wen wir heute im Einkaufszentrum gesehen haben«, sagte sie. »Philip Roth.«
    »Bist du sicher? Woher weißt du denn das?« fragte ich. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie Philip Roth erkennen würde.
    »Deine Mutter hat ihn mir gezeigt. Sie hat sein Gesicht erkannt, weil er mal in einer Zeitschrift abgebildet war. Wenn er kein berühmter Schriftsteller wäre, würde man ihn wohl kaum für gutaussehend halten.«
    »Moment mal«, sagte ich. »War er bloß zu Besuch oder ist er auch nach Owensboro gezogen? Und von welchem Einkaufszentrum redest du?«
    »Von welchem Einkaufszentrum!« entgegnete Janet. »Es gibt doch bloß eins, draußen in der Livermore Road. Es ist so weit außerhalb der Stadt, daß kaum einer je da rausfährt. Ich konnte es nicht glauben, als ich da draußen Philip Roth gesehen hab.«
    »Was hast du eigentlich mit meiner Mutter draußen im
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