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Die Ausgesetzten

Die Ausgesetzten

Titel: Die Ausgesetzten
Autoren: dtv
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Kleidung trugen, Englisch sprachen oder in englisch aussehenden
     Häusern wohnten. Und es gab Vermutungen, dass einige dieser Menschen die verbliebenen Kolonisten von Roanoke sein könnten.
     Allerdings machten die Bewohner von Jamestown nur wenig Anstalten, nach diesen Leuten zu suchen. Das ist für Historiker frustrierend,
     aber nur allzu verständlich. Die Siedler von Jamestown hatten genug damit zu tun, am Leben zu bleiben. Bereits nach einem
     Jahr waren von den ursprünglichen hundertvier Siedlern nur noch achtunddreißig übrig.
    Was also ist mit Virginia Dare und dem Rest der Kolonie von Roanoke im »ursprünglichen Verlauf der Geschichte« tatsächlich
     geschehen? Die deprimierendsteMöglichkeit ist die, dass alle kurz nach John Whites Abfahrt starben. Möglicherweise wurden sie von ihren indianischen Feinden
     getötet. Vielleicht aber auch von einem spanischen Stoßtrupp. Oder sie sind verhungert.
    Das, was John White 1590 auf Roanoke vorfand, vor allem das fehlende Kreuz neben dem Wort CROATOAN, scheint darauf hinzudeuten,
     dass die Kolonisten es zumindest geschafft haben, die Insel Roanoke wohlbehalten zu verlassen. Einige Historiker vertreten
     die Theorie, dass die Kolonisten sich in zwei Gruppen aufgeteilt haben: Eine Gruppe könnte, wie ursprünglich geplant, zur
     Chesapeake Bay weitergezogen sein, während eine kleinere Gruppe bei den Croatoan-Indianern blieb, nah genug an Roanoke, um
     nach John White Ausschau zu halten, falls er zurückkommen sollte. Der noch heute existierende Indianerstamm der Lumbee in
     North Carolina behauptet, die Kolonisten von Roanoke hätten amerikanische Ureinwohner geheiratet und gehörten zu ihren Vorfahren.
     Eine im späten neunzehnten Jahrhundert durchgeführte Untersuchung ergab, dass sich bei den Mitgliedern dieses Stammes einundvierzig
     der insgesamt fünfundneunzig Familiennamen der Kolonisten wiederfinden.
    Andere erzählen völlig andere Geschichten über die Kolonisten. Kapitän John Smith berichtete, der mächtige Indianerhäuptling
     Powhatan aus der Nähe von Jamestown habe einmal behauptet, alle Bewohner der Kolonie von Roanoke getötet zu haben. (Powhatan
     war der Vater von Pocahontas, wie du vielleicht noch weißt, wenn du den Film von Walt Disney gesehen hast.) Eine weitere traurige
     Möglichkeit ist, dass einige der Kolonisten die Sklaven eines ziemlich grausamen Stammes wurden, der weiter im Inland lebte.
     Es gab Berichte über ungewöhnlich hellhäutige Menschen, die für diesen Stamm arbeiteten, aber auch Beschreibungen von hellhäutigen
     Menschen, die unter glücklicheren Umständen mit anderen Ureinwohnern zusammenlebten.
    Natürlich waren die Kolonisten von Roanoke nicht die einzigen Menschen mit heller Haut, die im ausgehenden sechzehnten und
     frühen siebzehnten Jahrhundert durch Nordamerika gezogen sein könnten. Neben Spaniern und Engländern erforschten auch Franzosen
     und Dänen den Kontinent. Und die Geschichte, die Antonio beschreibt, hat sich tatsächlich ereignet: Europäische Kapitäne ließen
     Schiffsjungen zurück, damit sie die indianischenSprachen lernen und ihnen später als Übersetzer dienen sollten. Wurden die europäischen Schiffe versenkt oder kamen sie einfach
     nicht wieder, fügten sich die Kinder, die es schafften zu überleben, in die jeweilige indianische Kultur ein. Manche von ihnen
     kamen vielleicht wirklich zum gleichen Schluss wie Antonio, dass ihnen das Leben als adoptierter Indianer besser gefiel als
     das kümmerliche Dasein als Schiffsjunge. Offenbar gab es unter den amerikanischen Ureinwohnern viele, die nichts dagegen hatten,
     Fremde in ihren Stamm aufzunehmen.
    Schon nach den ersten Siedlungsversuchen, die der späteren »Verlorenen Kolonie« vorangingen, wurden zahlreiche Personen vermisst,
     auf die sich einige der Berichte über Menschen von europäischem Aussehen und Benehmen an verschiedenen Orten entlang der amerikanischen
     Atlantikküste bezogen haben könnten. Virginia Dare mag die berühmteste Person sein, die von Roanoke verschwand, aber sie war
     beileibe nicht die einzige. Im Juni 1586, als Sir Francis Drake den Soldaten auf Roanoke anbot sie mit nach England zurückzunehmen,
     wurden drei Männer zurückgelassen. Und auch die von einem anderen Schiff wenig später dort abgesetzten Soldaten verschwanden
     zwischen Sommer 1586 und August 1587 von der Insel.
    Die Geschichte von Drakes Rettungsaktion war mir völlig unbekannt und ich war über die Entscheidungen, die er traf,
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