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Die Ausgesetzten

Die Ausgesetzten

Titel: Die Ausgesetzten
Autoren: dtv
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Geschichtsbüchern wurden nur zwei
     Informationen über ihr tatsächliches Leben festgehalten: Sie wurde am 18.   August 1587 als Tochter von Ananias und Eleanor Dare geboren und sechs Tage später, am 24.   August 1587, getauft. Das ist alles! Mehr gesichertes Wissen gibt es nicht über sie. Beide Informationen stammen aus Berichten
     ihres Großvaters John White, des Gouverneurs der Kolonie von Roanoke. Dieser verließ Roanoke am 27.   August, als Virginia gerade neun Tage alt war. Ihr weiteres Leben ist unbekannt. Alles andere gehört ins Reich der Legende,
     ist reine Spekulation, ein Mysterium.
    Die Geschichte der Kolonie von Roanoke hat mich schon als Kind fasziniert. Ich erinnere mich, eine Biografie über Virginia
     Dare gelesen zu haben:
Virginia Dare: Mystery Girl
, die zu einer Buchserie über die Kindheit amerikanischer Berühmtheiten gehörte. (Man sollte meinen, dass es ein extrem dünnes
     Buch gewesen sein musste, aber das war es nicht.) Als ich das erste Mal daran dachte, »Im Sog der Zeiten« zu schreiben, war
     mir sofort klar, dass Virginia Dare eines der verschollenen Kinder der Geschichte sein würde.Doch als ich über die Kolonie von Roanoke zu forschen begann, stellte ich fest, dass die Geschichte wesentlich komplizierter
     war als die, die ich zu kennen glaubte.
    So wie es aussieht, war Virginia Dare tatsächlich das erste englische Kind, das in der Neuen Welt geboren wurde. Aber schon
     die Behauptung, die Kolonie von Roanoke sei die erste englische Siedlung in Amerika gewesen, ist ein wenig suspekt. Bereits
     1583 versuchte eine Gruppe Engländer auf Neufundland eine Siedlung zu gründen. Allerdings gaben sie ihr Vorhaben nach wenigen
     Wochen auf, weil ihnen die Vorräte ausgingen.
    Als Kind stellte ich mir die Ankunft der ersten Europäer in Amerika so ähnlich vor wie die Landung auf dem Mond in der zweiten
     Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Doch das ist kein guter Vergleich. Zum einen lebten, anders als auf dem Mond, bereits
     Menschen in Nord- und Südamerika. Zum anderen unternahm man innerhalb von vierzig Jahren insgesamt neun bemannte Raumflüge
     zum Mond, während die Europäer im sechzehnten Jahrhundert Hunderte Male zwischen Amerika und Europa hin- und herfuhren. Fischer
     aus England und anderen Nationen kamen in der wärmeren Jahreszeit regelmäßig in die Gewässer vor Neufundland, um dort zu fischen
     und ihren Fang anschließend nach Hause zu bringen und dort zu verkaufen. Die Spanier, die einen gewaltigen Vorsprung hatten,
     unterhielten zu dieser Zeit bereits zahlreiche Siedlungen auf der westlichen Erdhalbkugel und überquerten den Atlantik regelmäßig
     mit Schiffen voller Schätze aus Zentral- und Südamerika.
    Dieses Ungleichgewicht – wir kriegen den Fisch und sie das Gold – gefiel den Engländern nicht. Sie betrachteten die Spanier,
     unter anderem aus religiösen Gründen, ohnehin als ihre Feinde. (Spanien war ein katholisches Land und England im ausgehenden
     sechzehnten Jahrhundert bereits protestantisch.) Spanien schien alle Macht zu besitzen und seinen Einfluss in Europa wie in
     Amerika immer weiter auszudehnen. Eine der wichtigsten Maßnahmen, mit denen sich die Engländer dagegen zur Wehr setzten, bestand
     darin, spanische Schiffe anzugreifen und alles zu stehlen, was sie in die Finger bekamen. Das klingt nach Piraterie und ausgemachten
     Kriegshandlungen, doch die Engländer hatten einen anderen Begriff dafür: Kaperei. Das bedeutete im Klartext, dass die Engländer
     nicht das Gefühl hatten, etwas Unrechtes zu tun. Die englische Regierung und ihre Anführer duldetenden Diebstahl der spanischen Schätze nicht nur – sie ermunterten sogar dazu. Und Königin Elisabeth erhielt einen Anteil vom
     Profit.
    Sir Walter Raleigh, einer ihrer Favoriten unter den Höflingen, gehörte gleichzeitig zu den Männern, die am stärksten ins Kapergeschäft
     involviert waren. (Wenn du besser aufgepasst hast als Jonas, kennst du seinen Namen vielleicht aus dem Geschichts- oder Gemeinschaftskundeunterricht.)
     Raleigh war der Ansicht, dass die Gründung einer Kolonie in Nordamerika eine gute Möglichkeit wäre, der spanischen Übermacht
     auf der westlichen Erdhalbkugel etwas entgegenzusetzen – vor allem dann, wenn die Kolonie als Bastion und Versteck für englische
     Kaperer diente.
    Raleigh selbst hatte nicht vor in der neuen Kolonie zu leben, die ihm vorschwebte; er blieb in England und schickte stattdessen
     andere los. Es ist schwer, zu ergründen, was
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