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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte
Autoren: Ian Banks
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Bürotür, und Schwester Bernadettes rundes, errötetes Gesicht, eingerahmt von krausem rotem Haar, spähte heraus.
    »Schwes… ähm, Geliebte Isis, Bruder Allan hätte dich gern auf ein Wort gesprochen.«
    »Nun, ich bin etwas in Eile«, erwiderte ich, während ich nach dem Türgriff zu Großvaters Vorzimmer griff und mit der Hand, in der ich meinen Reisehut hielt, anklopfte.
    »Es dauert nicht – «
    Die Tür vor mir schwang auf, und Schwester Erin – hochgewachsen, ergraut, adrett und ein wenig so anmutend, als wäre sie schon seit Stunden auf den Beinen – trat einen Schritt zurück, um mich einzulassen, wobei sie der geknickten Schwester Bernadette auf der anderen Seite des Treppenabsatzes ein verkniffenes Lächeln schenkte, während sie die Tür hinter mir schloß.
    »Guten Morgen, Geliebte Isis«, sagte sie und winkte mich zur Tür von Großvaters Schlafzimmer. »Du bist wohlauf, hoffe ich?«
    »Guten Morgen, Schwester Erin. Ja, ich bin wohlauf«, erwiderte ich und ging über den gebohnerten Boden zwischen den Sofas, Sesseln und Tischen hindurch. Schwester Erin folgte mir. Draußen, jenseits der Trennwand vor den Hoffenstern, die Großvaters private Küche abteilt, hörte ich die Schulglocke läuten, mit der Bruder Calum die Kinder zum Unterricht rief. »Und du?«
    »Oh, ich kann nicht klagen«, sagte Erin mit einem Seufzen, das offenkundig just so leidend klingen sollte, wie es klang. »Dein Großvater hatte eine ruhige Nacht und ein leichtes Frühstück.« (Schwester Erin besteht immer darauf, von Großvater zu sprechen, als wäre er eine Kreuzung zwischen einer königlichen Hoheit und einem zum Tode verurteilten Sträfling; zugegebenermaßen ermutigt er uns alle, ihn mit einer gewissen Ehrfurcht zu behandeln, und mit seinen fünfundsiebzig Jahren mag ihm auch nicht mehr so viel Zeit bei uns verbleiben; aber trotzdem.)
    »Oh, schön«, sagte ich, wie immer um die angemessene Antwort verlegen.
    »Ich glaube, er ist in seiner Badewanne«, erklärte Erin und griff an mir vorbei, um die Tür zu Großvaters Zimmerflucht zu öffnen. Sie lächelte verkniffen. »Marjorie und Erica«, rief sie schroff, während ich meine Schuhe auszog und sie ihr reichte. Sie riß die Tür auf.
    Hinter der Tür war eine Stiege, die bis hinauf zu Großvaters Bett führt, welches aus sechs Doppelbetten und zwei Einzelbetten besteht, die dicht zusammengeschoben das gesamte Schlafzimmer ausfüllen, einmal abgesehen von einem einzelnen erhöhten Tisch an der hinteren Wand. Das Bett ist mit unzähligen Flicken- und Steppdecken und mehreren Dutzend Federkissen und Sofakissen unterschiedlichster Form und Größe bedeckt. Die Vorhänge waren geschlossen, und in der Dunkelheit mutete das Bett an wie die Reliefkarte eines außergewöhnlich bergigen Landstrichs. Die Luft war geschwängert vom Weihrauchduft der Kerzen, die überall auf dem einzelnen Bord verteilt standen, das sich einmal um das ganze Zimmer zog; einige der Kerzen brannten noch. Gurgelnde Geräusche und Stimmen drangen durch die halb geöffnete Tür vor mir.
    Die große, runde Holzbadewanne meines Großvaters steht in dem geräumigen Badezimmer hinter seinem Ankleidezimmer, welches wiederum an das Schlafzimmer angrenzt. Die Wanne und die sie einfassende Plattform, eigens von Bruder Indra für Großvater gebaut, nehmen die Hälfte des Raums ein; den Rest teilen sich eine gewöhnliche Badewanne, eine Duschkabine, ein Waschbecken, eine Toilette und ein Bidet, die alle von einem Tank auf dem Dachboden des Herrenhauses gespeist werden, der wiederum durch unser Wasserrad am Fluß (gebaut nach uraltem syrischen Vorbild, wie Indra sagt) und via einer Vielzahl von Filtern – darunter ein mit Reet bestandener Hang –, eines Gewirrs von Rohren, einer methangasbetriebenen Pumpe, Solarzellen auf dem Dach und schließlich eines ebenfalls methangasbetriebenen Heißwasserboilers direkt über dem Badezimmer aufgefüllt wird.
    »Geliebte Isis!« riefen Schwester Marjorie und Schwester Erica im Chor. Marjorie, die drei Jahre älter ist als ich, und Erica, ein Jahr jünger, trugen pfirsichfarbene Gewänder und trockneten gerade die Badewanne mit Handtüchern ab. »Guten Morgen, Schwestern«, begrüßte ich sie mit einem Nicken.
    Ich trat durch die Doppelflügeltür in den blühenden, duftenden Raum, den Großvater das Cogitarium nennt, ein Wintergarten, der an das Ende des ersten Stocks des Herrenhauses angebaut ist und auf dem Dach des darunter liegenden Ballsaals steht, in dem wir unsere
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