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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte
Autoren: Ian Banks
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der Statur-Häresie; die betreffenden Jünger hatten unseren Gründer nur als großen, massigen Mann kennengelernt und wußten nicht, daß seine Leibesfülle einzig das Ergebnis sowohl seines tiefen inneren Friedens als auch der ausgesprochen bemerkenswerten Kochkünste seiner Frauen war; hätten sie Fotografien von Salvador sehen können, die ihn damals zeigten, als er vor so vielen Jahren und Jahrzehnten unvermittelt und anscheinend noch recht hager bei den Schwestern aufgetaucht war, dann hätten sie sich vielleicht nicht derart fehlleiten lassen.
    Während Elias und Herb weiterstritten, nickte ich mit allem Anschein der Geduld und schaute mich flüchtig in der holzgetäfelten Eingangshalle um.
    In der Halle und an den schimmernd polierten Wänden des großzügigen Treppenaufgangs hängen verschiedene Gemälde und ein gerahmtes Plakat. Da sind ein Porträt der älteren Mrs. Woodbean, unserer Wohltäterin, eine Anzahl von Landschaftsbilder der Äußeren Hebriden und – beinahe schockierend, wenn man Großvaters Ansichten über die zeitgenössischen Medien bedenkt – ein grellbuntes Plakat in Purpur und Rot, das eine Veranstaltung in einer Räumlichkeit namens Royal Festival Hall in London vor zwei Jahren ankündigt. Das Plakat wirbt für ein Konzert mit einem Instrument namens Baryton, das von der international gefeierten Solistin Morag Whit gegeben wird, und es ist ein Beweis der Liebe und des Stolzes, die Großvater Salvador für meine Cousine Morag empfindet, daß er duldet, daß ein derart schreiend modernes Ding an so auffälliger Stelle in seinem Heiligtum ausgestellt ist. Cousine Morag – das Kronjuwel unserer Missionsarbeit – war beim Fest der Liebe am Ende des Monats als Ehrengast vorgesehen.
    Wir sind keine wohlhabende Gemeinschaft (tatsächlich war es schon immer Teil unserer Anziehungskraft für Außenstehende, daß wir von unseren Anhängern nichts anderes verlangen als Glaube, Gehorsam und – wenn sie bei uns leben wollen – ehrliche Arbeit; alle Spenden werden höflich wieder zurückgegeben), aber wir haben mehr, als wir brauchen, und der Hof erwirtschaftet jedes Jahr einen ansehnlichen Überschuß, den unser Gründer großzügig für die Missionsarbeit einsetzt. Bruder James in Amerika und Schwester Neith in Afrika haben über die letzten Jahre viele Seelen errettet, und wir hoffen, daß Bruder Topec – derzeit an der Universität in Glasgow – unser Abgesandter für Europa werden wird, nachdem er sein Examen gemacht und entsprechende Unterweisung von Salvador erhalten hat. Cousine Morag ist nicht im strikten Sinne eine Missionarin, doch es ist unsere Hoffnung, daß ihr Ruhm als international gefeierte Baryton-Solistin, in Verbindung mit ihrem offenen Bekenntnis zu unserem Glauben, helfen wird, die Menschen zur Wahrheit zu führen.
    Außerdem war es seit dem letzten Fest der Liebe Morags ausdrücklicher Wunsch, einen größeren Anteil an den diesmaligen Feierlichkeiten zu haben, und wir haben vor zwei Jahren mit Freude vernommen, daß sie in London einen netten jungen Mann kennengelernt habe und ihn beim diesjährigen Fest heiraten wolle.
    Nachdem Elias und Herb ihre jeweiligen Standpunkte erläutert hatten, schaute ich nachdenklich drein und antwortete den beiden nach bestem Vermögen; wie gewöhnlich war es ein Disput über eine Nichtigkeit, entstanden daraus, daß beide Großvaters Lehren leicht unterschiedlich, aber gleichermaßen grundlegend falsch ausgelegt hatten. Ich versicherte ihnen, daß die Antwort in ihren Ausgaben der Orthographie zu finden sein würde, wenn sie dies nur eingehend studierten. Ich ließ sie noch immer verwirrt zurück und erklomm eilig die Treppe zum ersten Stock, bevor ihnen irgendwelche weiterführenden Fragen einfallen konnten (daß ihnen welche einfallen würden, daran hegte ich keinen Zweifel, und ich konnte nur hoffen, daß sie zu einem anderen Abschnitt des Fußbodens oder einer anderen – und vorzugsweise weit entfernten – Aufgabe weitergezogen sein würden, wenn ich wieder herunterkam).
    Das Klappern der uralten Remington-Schreibmaschine der Gemeinde scholl aus einem der ehemaligen Schlafzimmer – nunmehr das Büro – links vom Ende der Treppe. Ich konnte die Stimme meines Bruders Allan hören, als ich den Treppenabsatz erreichte, dort, wo die Dielenböden knarrten. Allans Stimme verstummte abrupt, dann hörte ich ihn abermals etwas sagen, und während ich auf die Doppelflügeltür zu den Gemächern meines Großvaters zuging, öffnete sich die
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