Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Auserwählte: Roman (German Edition)

Die Auserwählte: Roman (German Edition)

Titel: Die Auserwählte: Roman (German Edition)
Autoren: Jennifer Bosworth
Vom Netzwerk:
mich vergewissern, dass du deine Tabletten nimmst, bevor wir gehen.« Alprazolam gegen Angstzustände. Chlorpromazin gegen Halluzinationen und Flashbacks.
    Sie senkte das Kinn zur Brust. »Die habe ich schon genommen.«
    »Bist du dir sicher?« Ich klang bevormundend, doch Mom erinnerte sich nur selten daran, ihre Tabletten zu nehmen. Die meiste Zeit schien sie sich kaum an ihren eigenen Namen zu erinnern.
    Sie bedachte mich mit einem stechenden Blick. »Ich bin mir sicher«, sagte sie.
    Ein leises Klopfen an der offenen Tür. Parker streckte den Kopf herein. Sein dichtes strohblondes Haar, das vom Duschen noch nass war, hing ihm in die Augen. Das Wasser lief heute wieder. Zum Glück. Seit dem Beben hatte ich nur ein paarmal geduscht, und ich wollte nicht wie einer der Obdachlosen riechen, wenn ich wieder zur Schule ging.
    Parker trat auf Mom zu und umarmte sie. »Ich habe dich lieb«, sagte er. »Wir sind wieder zurück, ehe du dich’s versiehst, okay?«
    Mom verkrampfte sich, als Parker sie berührte. Er ließ sie wieder los und gab sich Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, dass er enttäuscht war, von ihr zurückgewiesen zu werden, doch ich sah es ihm an. Parker war schon immer der Sensiblere von uns beiden gewesen. »Mitfühlend« war das Wort, das Mom benutzte, um ihn zu beschreiben, aber es war mehr als das. Parker war nicht nur mitfühlend, er war jemand, der Dinge in Ordnung bringen wollte. Wenn es jemandem schlecht ging, suchte er nach einem Weg, um ihm zu helfen.
    Parker war jedoch nicht in der Lage, die Mauer einzureißen, die Mom um sich herum errichtet hatte, und das machte ihm arg zu schaffen. Moms Zurückweisung war allerdings nicht persönlich gemeint. Zumindest redete ich mir das ein. Sie mochte es nicht mehr, wenn ihr jemand zu nahe kam. Sie schien mit jedem Tag mehr zu schrumpfen, schien immer kleiner zu werden, als läge sie noch immer unter dem eingestürzten Gebäude.
    »Ich warte im Auto.« Parker mied meinen Blick, als er an mir vorbeiging, aber ich sah, dass seine Augen feucht waren, und spürte, wie mir Mitleid die Kehle zuschnürte.
    Als er weg war, ging ich zu Mom. Ich wollte sie ebenfalls umarmen, obwohl ich wusste, dass sie steif sein würde wie ein Brett. Aber noch lieber hätte ich sie an den Schultern gepackt, sie geschüttelt und aufgefordert, zu uns zurückzukommen. Wir brauchten sie.
    Mein Blick schweifte zum Fernseher ab. Auf dem Bildschirm schwenkte die Kamera zurück und zeigte die Bühne. Mehrere identisch gekleidete Teenager – die Jungen in weißen Hemden und Hosen, die Mädchen in weißen Kleidern – flankierten Prophet. Bei zweien von ihnen handelte es sich um Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen, mit weißblondem Haar, das etwas elfenbeinfarbener war als das von Prophet. Beide waren so groß und schlaksig, dass sie aussahen, als wären sie gestreckt worden. Prophets Gefolge von adoptierten Kindern. Seine »zwölf Apostel«, wie er sie nannte, wenngleich ich auf dem Bildschirm nur elf zählte.
    Angesichts der Tatsache, dass es Prophet gelungen war, Millionen von Menschen einer Gehirnwäsche zu unterziehen und sie glauben zu machen, er trage nicht nur den Namen »Prophet« und sei nicht nur ein Prophet, sondern der Prophet, den Gott auserwählt habe, um uns wissen zu lassen, dass das Ende der Welt bevorstehe, wollte ich mir lieber nicht vorstellen, welche Art von Manipulation in seinen eigenen vier Wänden vor sich ging.
    »Er ist wieder da draußen … und beobachtet das Haus«, sagte Mom in dringlichem Tonfall. »Der Junge. Sieh nur.«
    Ich beugte mich vor, um durch die Jalousien in den grellen Sonnenschein zu spähen. Auf dem Bürgersteig gingen Leute vorbei, die ziellos umherwanderten: Obdachlose, deren Häuser vom Erdbeben zerstört worden waren. Aber ich sah keinen Jungen, der das Haus beobachtete.
    »Was will er?«, fragte Mom. Ihre Hand zuckte zu ihrem Gesicht, und ihre Finger folgten der gezackten Linie einer knotigen rosafarbenen Narbe an ihrem Kinn.
    »Das weiß ich nicht«, antwortete ich und hörte die Verzweiflung in meiner Stimme heraus wie einen starken Akzent.
    Moms Stimme bebte. »Alles gerät aus den Fugen, und Prophet sagt, dass es noch schlimmer werden wird. Er weiß, was auf uns zukommt, Mia. Gott spricht zu ihm.«
    Gott. Oh, Gott, Gott, Gott. Ich hatte es satt, von Gott zu hören, was vielleicht daran lag, dass ich nicht viel von ihm – oder ihr – gehört hatte, seit Moms Mutter, unsere fanatisch gottesfürchtige, bibelfeste Großmutter, ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher