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Die Auserwählte: Roman (German Edition)

Die Auserwählte: Roman (German Edition)

Titel: Die Auserwählte: Roman (German Edition)
Autoren: Jennifer Bosworth
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Linie seine leeren, vom grauen Star getrübten Augen.
    »Mom, Parker und ich müssen los«, sagte ich.
    »Was?«, erwiderte sie schließlich. »Wohin … wohin geht ihr?« Ihre Stimme klang schleppend, beschwert von Antipsychotika und angstlösenden Medikamenten, die ich auf nicht ganz legalem Weg für sie beschafft hatte. Selbst wenn es mir gelungen wäre, Mom einen Termin bei einem der überlasteten Ärzte in der Stadt zu besorgen, hätte ich nur ein Rezept bekommen, das ich nirgendwo hätte einlösen können. Sämtliche Apotheken waren binnen weniger Tage nach dem Beben geplündert worden. Zwar kamen nach und nach auf dem Luftweg wieder Lebensmittel, Wasser und Medikamente in die Stadt, da jedoch die meisten Fernstraßen gesperrt waren und die Lastwagen, die das Zeug hierherbringen sollten, geplündert wurden, war trotzdem nicht genug vorhanden.
    Zum Zeitpunkt des Erdbebens hatten im Großraum Los Angeles neunzehn Millionen Menschen gelebt. Seitdem war die Bevölkerungszahl geschrumpft. Wer in der Lage war, hatte die Stadt verlassen wie das sprichwörtliche sinkende Schiff. Trotzdem waren noch zu viele Menschen da, als dass alle hätten ernährt und mit Medikamenten versorgt werden können. Obwohl Prominente Hilfsorganisationen ihre Privatjets liehen, stand zur Einfuhr von Gütern nur eine begrenzte Anzahl von Flugzeugen und Hubschraubern zur Verfügung. Vorräte wurden an die Krankenhäuser und Kliniken der Region verteilt und sofort verzehrt, wenn sie aus den Lastwagen ausgeladen wurden. Falls die Lastwagen es überhaupt vom Flughafen bis zu ihren Lieferadressen schafften.
    Der Schwarzmarkt war das Einzige, was mir blieb, um Mom ihre Medikamente zu besorgen. Mir war klar, dass ich gestohlene Arzneimittel kaufte, aber ich konnte es mir nicht leisten, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Mein moralischer Kompass zeigte nicht in dieselbe Richtung wie früher.
    »Mom«, wiederholte ich. Mir fiel auf, dass sie Schwierigkeiten hatte, sich auf mich zu konzentrieren. Ihre Aufmerksamkeit galt zur einen Hälfte dem Fenster und zur anderen Prophet. »Parker und ich müssen heute wieder in die Schule. Aber wir kommen anschließend sofort nach Hause. Du bist nur ein paar Stunden allein.«
    In Moms Gesicht machte sich Angst breit – Angst vor der Aussicht darauf, allein im Haus zurückgelassen zu werden, während in der ganzen Stadt noch immer randaliert und geplündert wurde und die Wasser-, Strom- und Mobilfunknetzversorgung nach wie vor unzuverlässig war.
    Mom rang die Hände im Schoß, als würde sie diese in eine neue Form bringen wollen. »Was ist, wenn jemand versucht, hier einzubrechen, während ihr weg seid?«
    »Ich habe die Türen und Fenster kontrolliert. Alles ist fest verriegelt. Hier kommt niemand rein.« Zum Glück hatte ich die Fenster vorhin nochmals überprüft. Dabei war mir aufgefallen, dass das Garagenfenster nicht verriegelt gewesen war. Es handelte sich um ein kleines Fenster, durch das man sich jedoch zwängen konnte, wenn man es unbedingt wollte.
    Mom entwirrte ihre Finger und drückte die Lamellen der Jalousien abermals auseinander. »Vorhin hat ein Junge das Haus beobachtet. Ein Junge in deinem Alter mit Brille. Ich habe ihn irgendwo schon mal gesehen. Ich kann … ich kann mich aber nicht erinnern, wo. Dann hat er gemerkt, dass ich ihn anschaue, und ist verschwunden. Irgendwoher kenne ich ihn, Mia. Ich kenne ihn, aber ich kann mich nicht erinnern , woher.« Sie schlug sich mit den Fäusten so fest gegen die Schläfen, dass ich zusammenzuckte. »Warum müsst ihr denn beide gehen? Kann nicht wenigstens einer von euch hier bei mir bleiben? Ich will in diesem Haus nicht allein sein, solange er da draußen ist und mich beobachtet.«
    Ich wollte ihr nicht sagen, warum es so wichtig war, dass Parker und ich beide wieder zur Schule gingen. Warum das nicht noch eine Woche warten konnte. Wir hatten nur noch ein paar Konservendosen übrig, und die wenigen Schulen, die wieder geöffnet waren, boten nicht nur ein kostenloses Mittagessen, sondern sorgten dafür, dass den Schülern, die wieder den Unterricht besuchten, vorrangig geholfen wurde. Parker und ich würden beide täglich eine Essensration mit nach Hause nehmen können.
    Hier ging es nicht um Ausbildung. Es ging ums Überleben.
    Mom presste die Handballen gegen ihre Schläfen und krümmte den Rücken, als wappnete sie sich für einen Aufprall. Beobachtete tatsächlich jemand das Haus, oder hatte sie wieder Halluzinationen?
    »Mom … Mom , ich muss
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