Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
Neujahrsfest besonders ausgelassen gewesen, und Roland war sehr betrunken. Das lodernde Feuer im Kamin gemahnte ihn an den letzten glühenden Atemzug des Drachen, und er hatte dem Kopf, welcher an der Wand befestigt war, häufig zugeprostet. Daher trank er die grüne Flüssigkeit in einem Zuge leer, und eine böse Wollust überkam ihn. Er verließ auf der Stelle das Esszimmer und besuchte Sasha. Beim Versuch, sie zu lieben, verletzte er sie.
    »Bitte, mein Gemahl«, schrie sie schluchzend.
    »Es tut mir leid«, murmelte er. »Hmmmpf …« Er verfiel neben ihr in einen tiefen Schlaf und war die nächsten zwanzig Stunden nicht wach zu kriegen. Sie vergaß niemals den üblen Atem, den er in dieser Nacht gehabt hatte. Ein Geruch wie verdorbenes Fleisch, wie der Tod. Was nur, fragte sie sich, hatte er gegessen … oder getrunken?
    Roland rührte Flaggs Trank nie wieder an, aber Flagg war dennoch zufrieden. Neun Monate später gebar Sasha Thomas, ihren zweiten Sohn. Sie selbst starb bei der Geburt. So etwas kann natürlich vorkommen, und so trauerte zwar jeder, aber niemand war überrascht. Sie glaubten zu wissen, was vorgefallen war. Aber die beiden einzigen Menschen im ganzen Königreich, die die wahren Umstände von Sashas Tod kannten, waren Anna Crookbrows, die Hebamme, und Flagg, der Hofzauberer des Königs. Flagg hatte endgültig die Geduld mit Sashas Einmischungen verloren.

6
    Peter war erst fünf, als seine Mutter starb, aber er erinnerte sich ihrer voll Liebe. Für ihn war sie gütig, zärtlich, liebevoll und sanft gewesen. Aber fünf Jahre ist ein sehr junges Alter, und die meisten seiner Erinnerungen an sie waren nicht sehr genau. Eine deutliche Erinnerung jedoch besaß er, die er niemals vergaß - das war eine Rüge, die sie ihm einmal erteilt hatte. Viel, viel später wurde diese Erinnerung noch sehr wichtig für ihn. Sie hatte etwas mit seiner Serviette zu tun.
    An jedem Ersten des Fünfmonats wurde bei Hofe ein Fest gefeiert, um das Pflanzen im Frühling zu feiern. Mit fünf Jahren durfte Peter zum ersten Mal dabei sein. Der Brauch schrieb vor, dass Roland am Kopf der Tafel saß, rechter Hand sein Thronerbe, die Königin aber am anderen Ende der Tafel. Die Folge dessen war, dass sie beim Essen nicht auf Peter aufpassen konnte, und daher erteilte sie ihm vorher genaue Anweisungen, wie er sich verhalten sollte. Sie wollte, dass er sich anständig benahm und gute Manieren an den Tag legte. Und sie wusste natürlich, dass er während des Essens ganz auf sich allein gestellt sein würde, denn sein Vater hatte überhaupt keine Ahnung von Manieren.
    Ein paar von euch mögen sich vielleicht wundern, weshalb die Aufgabe, Peter Unterricht in Manieren zu geben, Sasha zufiel. Hatte der Junge denn keine Gouvernante? (Doch, eigentlich hatte er sogar zwei.) Gab es keine Diener,
deren Aufmerksamkeit einzig und allein dem kleinen Prinzen zu gelten hatte? (Ganze Heerscharen.) Der Trick bestand darin, all diese Leute nicht dazu zu bringen, sich um Peter zu kümmern, sondern sie fernzuhalten. Sasha wollte ihn selbst erziehen, wenigstens soweit ihr das möglich war. Sie hatte sehr klare Vorstellungen davon, wie ihr Sohn großgezogen werden sollte. Sie liebte ihn von ganzem Herzen und wollte aus eigenen egoistischen Gründen bei ihm sein. Aber sie wusste auch, dass sie eine große und ernste Verantwortung für Peters Entwicklung trug. Dieser kleine Junge würde eines Tages König werden, und Sasha wollte vor allem, dass er gut sei. Ein guter Junge, dachte sie, würde auch ein guter König sein.
    Große Bankette im Thronsaal waren keine besonders vornehmen Ereignisse, und die meisten Kindermädchen hätten sich sicher keine Gedanken über die Tischsitten des Jungen gemacht. Aber er wird doch der König sein!, hätten sie gesagt und wären wohl auch ein wenig schockiert gewesen, dass sie ihn in derlei nebensächlichen Fragen verbessern sollten. Wen kümmert es, wenn er die Sauciere umschüttet? Wen kümmert es, wenn er sich auf die Halskrause tropft oder sich gar die Hände daran abwischt? Hatte König Alan in alten Zeiten sich nicht manchmal auf seinen Teller übergeben und dann seinem Hofnarren befohlen, herbeizukommen und »diese köstliche warme Suppe zu schlürfen«? Biss nicht König John oft Forellen bei lebendigem Leibe die Köpfe ab und steckte die zuckenden Fischleiber dann den Dienerinnen in ihr Dekolleté? Wird dieses Bankett nicht wie die meisten Bankette damit enden, dass die Teilnehmer am Ende einander über die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher