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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman
Autoren: Heyne
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zutiefst gerührt.
    Aber ihr liebes altes Puppenhaus daheim vergaß sie deswegen nicht, so schmucklos es verglichen mit dem neuen auch wirkte, und sie verbrachte nicht so viele
regnerische Nachmittage damit, mit ihm zu spielen - die Möbel umzustellen und den Ofen anzuzünden, den rauchenden Schornsteinen zuzusehen oder so zu tun, als würde eine Teegesellschaft abgehalten oder ein Bankett zu Ehren der Königin - wie früher, selbst mit fünfzehn oder sechzehn Jahren noch. Einer der Gründe dafür war sehr einfach. Es machte keinen Spaß, so zu tun, als bereite man einen Empfang für die Königin vor, wenn man selbst die Königin war. Dieser eine Grund reichte vielleicht schon aus. Sie war jetzt erwachsen, und sie musste feststellen, dass das Erwachsensein nicht ganz genau so war, wie sie es sich als Kind vorgestellt hatte. Damals hatte sie geglaubt, sie würde eines Tages eine bewusste Entscheidung treffen und ihre Spielsachen, Spiele und kleinen Träumereien einfach beiseiteräumen. Nun stellte sie fest, dass es überhaupt nicht so war. Vielmehr merkte sie, dass das Interesse einfach allmählich nachließ. Es wurde immer weniger und weniger und weniger, bis sich der Staub der Jahre über die bunten Freuden der Kindheit legte und sie vergessen waren.

8
    Peter, ein kleiner Junge, der eines Tages König sein würde, hatte Dutzende Spielsachen - nein, um die Wahrheit zu sagen, er hatte Tausende Spielsachen. Er hatte Hunderte Zinnsoldaten, mit denen er große Schlachten schlug, und Dutzende Spielpferde. Er besaß Spiele und Bälle und Wurfkugeln und Murmeln. Er hatte Stelzen, die ihn einen Meter fünfzig groß machten. Er hatte einen magischen Springstab, auf dem er hüpfen konnte, und so viel Malpapier, wie er sich nur wünschte - und das in einer Zeit, da Papier nur schwer herzustellen war und nur die reichsten Leute es sich leisten konnten.
    Von allen Spielsachen im Schloss aber liebte er das Puppenhaus seiner Mutter am meisten. Dasjenige in der Westlichen Baronie hatte er nie gesehen, und daher war dieses für ihn das prächtigste aller Puppenhäuser. Wenn es draußen regnete, konnte er stundenlang davorsitzen, und wenn draußen der Winterwind aus seiner blauen schneegefüllten Kehle heulte. Als er die Kindertätowierung bekam (eine Krankheit, die wir Windpocken nennen), ließ er es sich von einem Diener auf einem speziellen Tisch, der über sein Krankenbett reichte, bringen und spielte fast ohne Unterlass damit, bis er wieder gesund war.
    Es gefiel ihm, sich die winzigen Menschen vorzustellen, welche das Haus bevölkerten; manchmal schienen sie ihm so wirklich, dass er sie beinahe sehen konnte. Er
erfand sie alle und sprach mit verschiedenen Stimmen für sie. Es war die Familie King. Da war Roger King, der war tapfer und mächtig (wenn auch nicht besonders groß und etwas o-beinig), und er hatte einst einen Drachen getötet. Da war die liebliche Sarah King, seine Frau. Und dann war da der kleine Junge, Petie, der sie liebte und von ihnen geliebt wurde. Ganz zu schweigen natürlich von all den Dienern, die er erfand, um die Betten zu machen, den Herd zu heizen, Wasser zu holen, Mahlzeiten zu kochen und die Wäsche zu waschen.
    Weil er ein Junge war, waren ein paar der Geschichten, die er sich ausdachte, blutrünstiger als die von Sasha in ihren Mädchenjahren. In einer davon belagerten die Piraten von Anduan das Haus und wollten hinein, um die Familie niederzumetzeln. Es kam zu einem gewaltigen Kampf. Dutzende Piraten wurden getötet, aber es waren zu viele. Sie rüsteten zum letzten Angriff. Doch kurz bevor es dazu kam, rückte die Leibgarde des Königs an - diesen Part spielten Peters Zinnsoldaten - und tötete jeden einzelnen dieser verkommenen anduanischen Seeteufel. In einer anderen Geschichte brach eine Drachenhorde aus dem nahe gelegenen Wald hervor (normalerweise war der nahe gelegene Wald unter Sashas Sofa beim Fenster), die mit ihrem feurigen Odem das Haus niederbrennen wollte. Aber Roger und Petie eilten mit ihren Bogen hinaus und erlegten jeden Einzelnen. »Bis der Boden schwarz war von ihrem ekligen alten Blut«, berichtete Peter seinem Vater an diesem Abend beim Essen, und Roland brüllte zustimmend.
    Nachdem Sasha gestorben war, sagte Flagg zu Roland, er fände es nicht richtig, dass ein Junge mit einem Puppenhaus spielte. Vielleicht machte es ihn nicht zu
einer Memme, sagte Flagg, vielleicht aber doch. Auf jeden Fall aber würde es keinen guten Eindruck machen, wenn das gewöhnliche Volk davon
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