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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman
Autoren: Heyne
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nur auf eine einzige Art entmutigen, sagte er, indem man ihnen nämlich die Köpfe derjenigen zeigte, die es versucht hatten. Andere potenzielle Deserteure konnten die fliegenumschwärmten Köpfe mit den weit aufgerissenen Augen ansehen und noch einmal darüber nachdenken, wie ernst der Treueeid war, den sie dem König geschworen hatten.
    Sasha aber hatte Informationen von einer ihrer Zofen erhalten, von denen Roland nichts wusste. Die Mutter des älteren Jungen war schwer krank geworden. Zu der Familie gehörten drei jüngere Brüder und zwei Schwestern. Alle hätten in der bitteren Kälte des Winters in Delain sterben können, wäre der Junge nicht aus der Kaserne geschlichen und nach Hause gegangen, um für seine Mutter Holz zu hacken. Der andere Junge war mitgegangen, weil er sein bester Freund war und sein verschworener Blutsbruder obendrein. Ohne seine Hilfe hätte es zwei Wochen dauern können, genügend Holz zu hacken, um die Familie für den Winter zu versorgen.

    Da sie beide emsig gearbeitet hatten, hatten sie nur sechs Tage gebraucht.
    Damit erschien der Vorfall in einem anderen Licht. Roland hatte seine eigene Mutter sehr geliebt, und er wäre mit Freuden für sie gestorben. Er stellte Nachforschungen an und fand heraus, dass Sasha recht hatte. Er fand auch heraus, dass die beiden Soldaten erst geflohen waren, nachdem ein sadistischer Feldwebel sich wiederholt geweigert hatte, ihre Bitte um Dienstbefreiung an seinen Vorgesetzten weiterzuleiten, und dass sie, kaum waren vier Klafter Holz gehackt, zurückgekehrt waren, obwohl sie gewusst hatten, dass das Kriegsgericht und das Beil des Scharfrichters auf sie warteten.
    Roland begnadigte sie. Flagg nickte, lächelte und sagte lediglich: »Euer Wille ist Delains Wille, Sire.« Nicht um alles Gold in den Vier Königreichen hätte er Roland die kalte Wut sehen lassen, die in ihm aufstieg, als er nicht seinen Willen bekam. Rolands Entscheidung fand breite Zustimmung in Delain, denn viele kannten die wahren Hintergründe, und diejenigen, die sie nicht kannten, wurden von den anderen rasch aufgeklärt. An Rolands weise und mitfühlende Begnadigung erinnerte man sich noch, als andere, weniger humane Dekrete (die für gewöhnlich ebenfalls vom Hofzauberer ausgingen) verkündet und durchgesetzt wurden. Das alles war Flagg einerlei. Er hatte sie hinrichten lassen wollen, und Sasha hatte sich eingemischt. Warum hatte Roland keine andere heiraten können? Er hatte keine Einzige gekannt, und ihm lag nichts an Frauen. Warum keine andere? Nun, es war egal. Flagg lächelte zu der Begnadigung, aber er schwor sich tief in seinem Herzen, dass er noch Sashas Beerdigung beiwohnen würde.

    In der Nacht, nachdem Roland das Gnadengesuch unterschrieben hatte, begab sich Flagg in sein finsteres Laboratorium im Keller. Dort zog er einen schweren Handschuh über und holte eine Totenwachenspinne aus dem Käfig, in dem er sie zwanzig Jahre lang gehalten und sie mit neugeborenen Mäusen gefüttert hatte. Jede Maus, die er der Spinne verfüttert hatte, war vergiftet und wäre ohnehin gestorben; Flagg tat das, um das Gift der Spinne noch stärker zu machen, das sowieso schon unglaublich stark war. Die Spinne war blutrot und so groß wie eine Ratte. Ihr aufgeblähter Leib war prallvoll von Gift; Gift troff in klaren Tropfen von ihrem Stachel und ätzte Löcher in die Platte von Flaggs Arbeitstisch.
    »Nun stirb, mein Liebchen, und töte eine Königin«, flüsterte Flagg und zerdrückte die Spinne mit dem Handschuh, der aus einem verzauberten Stahlgeflecht bestand, welches dem Gift standhielt - dennoch war seine Hand, als er an diesem Abend zu Bett ging, geschwollen und rot und schmerzte pochend.
    Gift aus dem zerquetschten Leib der Spinne troff in einen Kelch. Flagg goss Branntwein über die Substanz, dann vermischte er beides. Als er den Löffel aus dem Glas nahm, war dieser verbogen und unbrauchbar. Wenn die Königin einen einzigen Schluck trank, würde sie tot umfallen. Ihr Tod würde schnell sein, aber außerordentlich schmerzhaft, dachte Flagg zufrieden.
    Sasha hatte die Angewohnheit, jeden Abend ein Glas Branntwein zu trinken, weil sie oft Schwierigkeiten mit dem Einschlafen hatte. Flagg läutete, damit der Diener kam, der ihr den Schlummertrunk bringen sollte.
    Sasha erfuhr nie, wie nahe sie an diesem Abend dem Tode gewesen war.

    Kurz nachdem er den tödlichen Trunk gebraut hatte, noch bevor der Diener klopfte, schüttete Flagg ihn in den Ausguss im Zentrum des Fußbodens und
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