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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman
Autoren: Heyne
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spielt keine große Rolle mehr in unserer Geschichte, doch eines solltet ihr noch über sie wissen: Sie besaß ein Puppenhaus. Dieses Puppenhaus war sehr groß und sehr kostbar, beinahe ein Miniaturschloss. Als der Zeitpunkt ihrer Hochzeit näher rückte, bemühte Sasha sich, so fröhlich wie möglich zu sein, aber es stimmte sie traurig, alles und jeden in dem großen Haus in der Westlichen Baronie zurückzulassen, wo sie aufgewachsen war - und sie war ein wenig nervös. Sie sagte zu ihrer Mutter: »Ich war noch niemals verheiratet, und ich weiß nicht, ob es mir gefallen wird.«
    Von allen Spielsachen, die sie zurückließ, tat es ihr um das Puppenhaus, welches sie seit ihren Mädchenjahren besaß, am meisten leid.
    Roland, der ein gütiger Mann war, fand das irgendwie heraus, und wenngleich er ebenfalls nervös war, was sein zukünftiges Leben anbetraf (schließlich war er auch noch niemals verheiratet gewesen), fand er dennoch die Zeit, Quentin Ellender, den begabtesten Künstler des Landes, damit zu beauftragen, seiner neuen Frau ein neues Puppenhaus zu bauen. »Es soll das schönste Puppenhaus sein, das jemals einer jungen Dame gehört hat«, sagte er zu Ellender. »Sie soll es einmal ansehen und ihr altes Puppenhaus für immer vergessen.«
    Euch allen ist sicher klar, dass dies eine alberne Bemerkung
war, die Roland da von sich gegeben hatte, falls er sie wirklich ernst meinte. Niemand vergisst jemals ein Spielzeug, das ihn als Kind glücklich gemacht hat, selbst wenn dieses Spielzeug durch ein anderes ersetzt wird, welches viel schöner ist. Sasha vergaß ihr altes Puppenhaus nie, wenngleich das neue sie sehr beeindruckte. Jeder, der kein Narr war, wäre beeindruckt gewesen. Diejenigen, die es sahen, erklärten, dass es Quentin Ellenders beste Arbeit war, und damit hatten sie gewiss recht.
    Es war ein Landhaus im Miniaturstil, dem nicht unähnlich, in dem Sasha mit ihren Eltern in der hügeligen Westlichen Baronie gewohnt hatte. Alles darin war winzig, aber so erstaunlich lebensecht gefertigt, dass man hätte schwören können, alles würde funktionieren … was es größtenteils auch tat.
    Der Herd, zum Beispiel, wurde wirklich heiß, und man konnte sogar winzige Essensportionen darauf kochen. Wenn man ein Stückchen Kohle hineintat, nicht größer als eine Streichholzschachtel, dann brannte er den ganzen Tag lang … und wenn man mit seinen ungeschickten großen Menschenfingern in die winzige Küche griff und dabei den heißen Herd berührte, dann konnte es vorkommen, dass man sich schmerzlich verbrannte. Es gab keine Wasserhähne und keine Toilettenspülung, denn die waren im Königreich Delain unbekannt - und sind es heute noch -, aber wenn man behutsam war, dann konnte man Wasser aus einer Pumpe herauspumpen, die kaum größer als ein kleiner Finger war. Es gab ein Nähzimmer mit einem Spinnrad, das sich wirklich drehte, und einem Webstuhl, der wirklich webte. Das Spinett im Salon spielte tatsächlich, wenn man die Tasten
mit einem Zahnstocher niederdrückte, und die Töne stimmten. Alle, die es sahen, waren sich einig, dass es ein Wunder war und dass Flagg irgendetwas damit zu tun haben musste. Wenn Flagg solche Worte hörte, dann lächelte er nur und sagte nichts. Er hatte überhaupt nichts mit dem Puppenhaus zu tun gehabt - in Wahrheit hielt er es für eine alberne Sache -, aber er wusste auch, dass es nicht immer notwendig ist, Behauptungen von sich zu geben und den Menschen zu sagen, wie wunderbar man ist, um Größe zu erreichen. Manchmal genügte es, nur klug dreinzuschauen und den Mund zu halten.
    In Sashas Puppenhaus gab es echte Kashaminteppiche, echte Samtvorhänge, echtes Porzellangeschirr; im Vorratsraum konnte man tatsächlich Lebensmittel frisch halten. Die Wandtäfelung im Empfangszimmer und in der Diele war aus wertvollem Eisenbaumholz. Alle Fenster waren verglast, und über der breiten Eingangstür befand sich ein Oberlicht aus Buntglas.
    Alles in allem war es das hübscheste Puppenhaus, das sich ein Kind nur erträumen konnte. Als es während der Hochzeitsfeier enthüllt wurde, klatschte Sasha vor Begeisterung in die Hände und dankte ihrem Mann von Herzen dafür. Später begab sie sich in Ellenders Werkstatt und dankte ihm nicht nur, sondern machte auch noch einen tiefen Knicks vor ihm, was etwas Unerhörtes war - in jenen Tagen knicksten Königinnen nicht vor gewöhnlichen Künstlern. Roland war zufrieden, und Ellender, dessen Augenlicht bei der Arbeit stark gelitten hatte, war
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