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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman
Autoren: Heyne
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lauschte, wie er zischend und gurgelnd im Abflussrohr verschwand. Sein Gesicht war vom Hass verzerrt. Als das Zischen aufgehört hatte, schleuderte er den Kristallkelch mit aller Wucht in die Ecke. Er zerschellte wie eine Bombe.
    Der Diener klopfte und wurde eingelassen.
    Flagg deutete auf die glitzernden Scherben. »Ich habe einen Kelch zerbrochen«, sagte er. »Mach sauber. Und nimm einen Besen, Idiot. Wenn du die Scherben berührst, wird es dir leidtun.«

10
    Er hatte das Gift im letzten Augenblick in den Abfluss geschüttet, weil ihm klar geworden war, dass man ihm auf die Schliche kommen könnte. Hätte Roland die junge Königin nicht so sehr geliebt, wäre Flagg das Risiko eingegangen. Aber er fürchtete, dass Roland wütend und mit gebrochenem Herzen nach dem Täter suchen lassen und nicht ruhen würde, bis man den Mörder gefasst hatte, und dann würde sein abgeschlagener Kopf die Spitze der Nadel zieren. Es wäre das eine Verbrechen, das der König auf jeden Fall rächen würde, einerlei, wer es begangen hatte. Könnte er den Mörder finden?
    Flagg hielt es für möglich.
    Immerhin war Jagen dasjenige, was Roland am besten konnte.
    Und so kam Sasha - dieses Mal - davon, beschützt von Flaggs Furcht und der Liebe ihres Mannes. Und Flagg gab dem König auch weiterhin in fast allen Fragen seinen Rat.
    Was jedoch das Puppenhaus anbelangt - man könnte sagen, dass Sasha in dieser Frage siegreich blieb, wenngleich es Flagg mittlerweile tatsächlich gelungen war, sie sich vom Hals zu schaffen.

11
    Nicht lange, nachdem Flagg seine geringschätzigen Bemerkungen über Puppenhäuser und königliche Memmen gemacht hatte, schlich Roland unerkannt ins Morgenzimmer der toten Königin und sah seinem Sohn beim Spielen zu. Der König stand direkt hinter der Tür und runzelte die Stirn. Er dachte viel angestrengter nach als gewöhnlich, und das bedeutete, es rollten Wackersteine in seinem Kopf herum und seine Nase war verstopft.
    Er sah, dass Peter das Puppenhaus benutzte, um sich Geschichten auszudenken, um »so zu tun, als ob«, und die Geschichten, die er sich ausdachte, waren keineswegs Memmengeschichten. Es waren Geschichten von Blut und Donner und Armeen und Drachen. Es waren, mit anderen Worten, Geschichten ganz nach des Königs Herzen. Er verspürte plötzlich in sich das sehnsüchtige Verlangen, sich zu seinem Sohn zu gesellen und ihm dabei zu helfen, sich noch bessere Geschichten auszudenken, in welchen das Puppenhaus, seine faszinierende Einrichtung und die imaginären Bewohner ihre Rolle spielen konnten. Am deutlichsten aber sah er, dass Peter das Puppenhaus dazu benutzte, um die Erinnerung an Sasha in seinem Herzen lebendig zu halten, und das schätzte Roland am meisten, denn seine Frau fehlte ihm sehr. Manchmal fühlte er sich so einsam, dass er beinahe weinte. Selbstverständlich weinten Könige nicht … und wenn er ein- oder zweimal nach Sashas Tod dennoch
erwachte und feststellte, dass der Kissenbezug feucht war, na und?
    Der König verließ das Zimmer so leise, wie er es betreten hatte. Peter sah ihn nicht. In dieser Nacht lag Roland lange wach und dachte über das nach, was er gesehen hatte, und wenngleich es ihm schwerfiel, Flaggs Missbilligung zu ertragen, bat er ihn gleich am nächsten Morgen zu einer Privataudienz, bevor seine Entschlossenheit ins Wanken kommen konnte, und sagte ihm, dass er über das Thema gründlich nachgedacht habe und zu dem Schluss gekommen sei, man sollte Peter mit dem Puppenhaus spielen lassen, so lange er wollte. Er sagte, er glaube, es würde dem Jungen nicht schaden.
    Nachdem das heraus war, lehnte er sich unbehaglich zurück und erwartete Flaggs Erwiderung. Aber es kam keine. Flagg zog die Augenbrauen hoch - das sah Roland im tiefen Schatten der Kapuze, die Flagg stets trug, kaum - und sagte: »Euer Wille, Sire, ist der Wille des Königreichs.«
    An seinem Tonfall konnte Roland merken, dass Flagg das für eine schlechte Entscheidung hielt, aber derselbe Tonfall verriet ihm auch, dass Flagg keine weiteren Einwände mehr erheben würde. Er war sehr erleichtert, dass er so glimpflich davongekommen war. Als Flagg an diesem Tag vorschlug, die Bauern der Östlichen Baronie könnten höhere Steuern ertragen, wenngleich dort eine Dürre im Vorjahr den größten Teil der Ernte vernichtet hatte, stimmte Roland eifrig zu.
    In Wahrheit erschien es dem Magier eine wirklich unbedeutende Sache zu sein, wenn der alte Narr (so nannte er Roland insgeheim) in der Frage des Puppenhauses sich
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