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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman
Autoren: Heyne
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bestand keine Gefahr, dass er ihnen davonfliegen würde - die Flügel würden erst in etwa fünfzig Jahren, nach zwei weiteren Häutungen, so weit entwickelt sein, dass sie den Leib durch die Lüfte tragen konnten -, aber der Kokon, welcher die Flügel des Drachen bis zum
zehnten oder zwölften Lebensjahr am Körper hält, war bereits abgefallen, und ein einziger Flügelschlag erzeugte genug Wind, um den Anführer der Jagdgesellschaft aus dem Sattel zu werfen, so dass das Horn seinen Händen entglitt.
    Roland war der Einzige, den das Auftauchen der Bestie nicht starr vor Schrecken hatte werden lassen, und seine nun folgende Tat zeugte von wahrem Heldenmut - auch wenn er zu bescheiden war, dies Sasha gegenüber zu erwähnen - und ebenso von der Begeisterung des Jägers. Der Drache hätte durchaus den größten Teil der Gesellschaft bei lebendigem Leibe rösten können, hätte Roland nicht so besonnen gehandelt. Er trieb das Pferd fünf Schritte näher heran und legte den großen Pfeil an. Er spannte den Bogen und schoss. Der Pfeil bohrte sich direkt in das Mal - die einzige weiche Stelle an der Kehle des Drachen, wo er Luft einsaugt, um Feuer zu erzeugen. Der Wurm fiel mit einem letzten Flammenspeien, welches alle Büsche in seiner Umgebung entzündete, tot zu Boden. Dies löschten die Edelmänner rasch, einige mit Wasser, einige mit Bier, und nicht wenige mit Pisse - da ich gerade darüber nachdenke, eigentlich bestand der größte Teil der Pisse auch aus Bier, denn wenn Roland auf die Jagd ging, dann nahm er stets einen großen Vorrat Bier mit, und er geizte nicht damit.
    Das Feuer war binnen fünf Minuten gelöscht, der Drache binnen fünfzehn ausgeweidet. Über seinen rauchenden Nasenlöchern hätte man immer noch einen Kessel zum Kochen bringen können, als man die Kaldaunen herausnahm. Das bluttropfende Herz mit seinen neun Kammern wurde feierlich zu Roland gebracht. Er aß es roh, wie es Brauch war, und stellte fest, dass es köstlich
war. Es stimmte ihn lediglich traurig, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit zeit seines Lebens kein zweites mehr bekommen würde.
    Vielleicht war es das Herz des Drachen, welches ihn in dieser Nacht so stark machte. Vielleicht lag es nur an seiner Freude an der Jagd und dem Wissen, dass er nüchtern und überlegt gehandelt hatte, als alle anderen fassungslos in den Sätteln saßen (natürlich abgesehen vom Anführer der Jagdgesellschaft - der lag fassungslos auf dem Rücken). Aus welchen Gründen auch immer, als Sasha in die Hände klatschte und ausrief: »Gut gemacht, mein tapferer Gemahl!«, sprang er förmlich in ihr Bett. Sasha empfing ihn mit strahlenden Augen und einem Lächeln, welches seinen eigenen Triumph widerspiegelte. In dieser Nacht genoss Roland zum ersten und einzigen Mal ohne Hilfsmittel die Umarmung seiner Frau. Neun Monate später - ein Monat für jede Kammer des Drachenherzens - wurde Peter in demselben Bett geboren, und das Königreich jubelte - es hatte einen Thronerben.

5
    Wahrscheinlich denkt ihr - wenn ihr euch überhaupt die Mühe gemacht habt, darüber nachzudenken -, dass Roland nach Peters Geburt aufgehört hat, Flaggs grünes Gebräu zu trinken. Keineswegs. Gelegentlich nahm er es immer noch ein. Und zwar deshalb, weil er Sasha liebte und sie glücklich machen wollte. Mancherorts glauben die Menschen, dass nur Männer Spaß am Sex haben und die Frauen lieber in Ruhe gelassen werden wollen. Aber das Volk von Delain kannte solche sonderbaren Vorstellungen nicht - man ging davon aus, dass auch eine Frau Vergnügen an dem Akt empfand, welcher die erfreulichsten Geschöpfe der Welt hervorbrachte. Roland wusste, dass er sich diesbezüglich nicht hinreichend um seine Frau kümmerte, aber er nahm sich vor, so aufmerksam wie möglich zu sein, auch wenn das bedeutete, dass er Flaggs Trunk einnehmen musste. Nur Flagg wusste, wie selten der König das Bett der Königin besuchte.
    Ungefähr vier Jahre nach Peters Geburt suchte am Neujahrstag ein gewaltiger Schneesturm Delain heim. Abgesehen von einem einzigen anderen, von dem ich euch später noch berichten werde, war dies der schlimmste Sturm seit Menschengedenken.
    Einem Impuls folgend, den er nicht einmal sich selbst erklären konnte, mischte Flagg dem König einen Trunk von doppelter Stärke - vielleicht trieb etwas im Wind
ihn dazu, es zu tun. Normalerweise hätte Roland ob des ekligen Geschmacks das Gesicht verzogen und den Kelch wahrscheinlich beiseitegestellt, aber durch die Aufregung des Sturms war das
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