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Die Aufsteigerin

Titel: Die Aufsteigerin
Autoren: Martina Cole
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die Frauen hüllten sich fester in ihre Mäntel.
    »Arschkalt, was, Mädels?« Betty sprach laut, bekam aber keine Antwort. Sie stürzten in Lennys Nachtcafé, brachten einen Schwall Kälte mit und eine Duftwolke billigen Parfüms. Sie setzten sich an einen großen Tisch nach hinten, sahen einander an und brachen in lautes, nervöses Gelächter aus.
    »Frühstück geht auf dich, Madge Connor. Du hast die Schuld an dem Schlamassel.«
    Madge grinste und streifte ihren Mantel ab. Allseits wurde ihre Wunde inspiziert.
    »Wirst es überleben. Ein paar Stiche, und du bist wieder wie neu. Bevor wir nach Hause gehen, machen wir noch’n kleinen Abstecher ins Old London.«
    Madge steckte sich eine Zigarette an und bekam einen Hustenanfall. »Diese verschissenen Schlitzaugen! Kein Wunder, dass sie die Bombe auf den Kopf gekriegt haben.«
    »Das waren die Japse, dummes Huhn. Hier, habt ihr das von Hedy Lamarr heute in der Zeitung gesehen? Ist in Hollywood beim Ladenklau erwischt worden! Bei all dem Geld macht die trotzdem noch lange Finger!«
    Ungefragt schenkte Lenny ihnen Tee mit einem Schuss Whisky aus. Er hatte nichts gegen die Huren, denn sie sorgten für Umsatz. Die Frauen schwatzten über dies und jenes. So klar ihnen war, dass sie nur mit Glück davongekommen waren, so wenig mochten sie es sich eingestehen. Immer wieder wurden
Frauen am Hafen tot aufgefunden. Sie wussten, wie gefährlich sie lebten, benutzt und missbraucht von Seeleuten, die innerhalb von Tagen, manchmal sogar Stunden, kamen und gingen. Wenn eine von ihnen ermordet wurde, zeigte die Polizei kein besonderes Interesse, sondern reagierte nach dem Motto: Eine weniger zu drangsalieren, eine weniger zu kontrollieren. Ihr Alter, ihre Lebensumstände und ihr Aussehen verdammten diese Frauen dazu, in Custom House auf der Straße ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sogar die übelsten Kaschemmen in Soho würden sie an der Tür abweisen. Tiefer sinken konnten sie nicht mehr, und das wussten sie nur allzu gut.
    Und doch besaßen sie, wenn sie zusammenhielten, ihre ganz eigene krude Würde.
     
    Der junge Eamonn öffnete die Augen und gähnte herzhaft. Mit zehn Jahren wusste er sehr wohl, dass er langsam zu alt war, um neben seiner Stiefschwester zu schlafen. Aber ihre Wärme gab ihm ein Gefühl der Geborgenheit. Er lauschte auf ihr leises Schnarchen. Als ihm dann einfiel, dass sie des Nachts noch lange auf gewesen war, meldete sich das schlechte Gewissen. Er wusste, dass er zusammen mit ihr hätte aufstehen sollen. Stattdessen hatte er einfach weitergeschlafen. Er blickte zu den Vorhängen, sah den schwachen Schein der Wintersonne hindurchschimmern und kuschelte sich noch einmal unter die Decke. Cathy machte das Aufstehen nichts aus, und schon bald würde sie dafür gesorgt haben, dass die Küche warm und behaglich war. Er tat so, als würde er sich nur umdrehen, und stieß seine Schwester grob an. Er wusste, dass sie davon aufwachte. Dann gab er vor, noch zu schlafen, und vergrub sich tiefer im Bett. Als er spürte, dass sie aufstand, grinste er stillvergnügt.
    Auf Cathy war Verlass. Sie wusste, was zu tun war, und fackelte nicht lange. In zwanzig Minuten würde sie ihm Tee und Toast hingestellt haben, und er konnte aufstehen und hinüberflitzen in die Wärme der Küche.

    Bibbernd machte Cathy den kleinen Herd an, in der Hoffnung, mit zwei Flammen den Raum zu wärmen. Geschickt schnitt sie Brot auf und legte es unter den Grill. Sie öffnete den Speiseschrank und prüfte die Vorräte. Da waren noch Margarine und ein klein wenig Marmelade. Summend machte sie sich daran, das Frühstück zu richten. Sie hatte gerade eine große Kanne Tee fertig, als Madge zur Vordertür hereinkam.
    »Eine schöne Tasse Tee! Genau richtig. Draußen ist es eisig kalt.« Sie überreichte Cathy kalte Würstchen, die in Zeitungspapier gewickelt waren. »Die hab ich aus dem Kaffeehaus für dich mitgebracht, Kleines.«
    »Damit mach ich Sandwiches. Ich mag Würstchen doch so gerne.«
    Dankbar für die kleine Aufmerksamkeit lächelte Cathy ihre Mutter an. In diesem Haushalt kam regelmäßig gutes Geld herein, aber für Lebensmittel blieb nur ein armseliger Rest. Das meiste wurde in Alkohol umgesetzt und in neue Kleider für Madge, wenn sie die Lust überkam, sich herauszuputzen, und in aufwendige Möbelstücke, die meist sehr bald zurückgefordert wurden.
    Regelmäßig einmal die Woche einzukaufen lag einfach nicht drin. Wie alle anderen auch konnten sie bei Tamlin’s anschreiben lassen.
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