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Die Aufsteigerin

Titel: Die Aufsteigerin
Autoren: Martina Cole
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normalerweise an Alkohol oder Drogen. Oft endet es aber auch wie hier, misshandelt und geschlagen in einem Krankenhauszimmer, allein.« Er hielt einen Augenblick inne, bemüht, seine Fassung zu gewinnen, bevor er den Arzt direkt ansah. »Ich habe sie auf meine Weise geliebt, und zwar seit dem ersten Tag, an dem ich sie sah, allein und verängstigt, noch ein Kind. Ich habe sie geliebt.«
    Dann ging er aus dem Zimmer wie ein alter Mann, langsam und gramgebeugt.
    Für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Patientin zu sich kam und sogar sprach, setzte sich eine junge Polizistin an deren Bett, um jedes Wort zu notieren. Bewaffnete Posten wachten rund um die Uhr draußen vor der Tür.
    »War das Ihr Boss?« Der Arzt sprach leise, als sei der Tod gegenwärtig.

    Die junge Rothaarige grinste verschmitzt, höchst erfreut, dass der attraktive junge Mediziner mit den dunklen Augen Notiz von ihr nahm.
    »Mein Boss, genau. Das war Chief Inspector Richard Gates, Leiter der Sittenpolizei.«

NEW YORK
    Der Mann schaute aus seinem Bürofenster und reagierte einmal nicht elektrisiert auf den Anblick der Skyline. Normalerweise weckte diese Aussicht eine bis in den Unterleib spürbare Erregung, die euphorische Genugtuung, dass er, Eamonn Docherty, Straßenrowdy aus London, es zum angesehenen Geschäftsmann gebracht hatte, der in einem Büro von der Größe eines Tennisplatzes residierte und an einem Tisch saß, der aussah, als würde er ins Victoria und Albert Museum gehören und nicht ins zweiundachtzigste Stockwerk des Plaza Tower, einer seiner zahlreichen Immobilien.
    Zum zehnten Mal an diesem Morgen nahm er das Telefon zur Hand und tippte die Nummer ein. Der Wählton schrillte laut in seinem Ohr, als würde er im Feinkostgeschäft um die Ecke anrufen und nicht in London. Er legte auf, als der Anrufbeantworter ansprang und eine Frauenstimme ihren aufgezeichneten Ansagetext begann.
    »Scheiße, wo ist sie denn bloß?«
    Die Worte waren an niemanden gerichtet, und seine Stimme hallte laut in der Stille des Büros. Er stand auf, ging hinüber zur gläsernen Wand und sah hinaus, ohne etwas wahrzunehmen. Dann schloss er die Augen und rief sich ins Gedächtnis, wie er als junger Mann den ersten Blick auf Amerika geworfen hatte.
    Sein Vater, Eamonn Docherty Senior, war betrunken und schnarchte neben ihm auf dem Boot, als sie den Hudson erreichten und vor sich die Freiheitsstatue in ihrer ganzen Pracht
aufragen sahen. Anders als ihre Vorfahren erwartete sie kein Ellis Island. Sie waren illegal auf einem englischen Containerschiff ins Land gebracht worden. Ein Freund eines Freundes hatte das arrangiert - wie sein Vater es am liebsten ausdrückte.
    Eamonn Junior hatte einen Mord begangen, der ihn sein Leben lang belastete. Er hatte aus dem East End verschwinden müssen, und sein Vater hatte dafür gesorgt, dass sie zusammen fortgehen konnten.
    Es war das einzige Mal in seinem Leben, dass sein Vater ihm aus der Patsche geholfen hatte.
    Es dauerte kein Jahr, da verlor er seinen Vater und blieb auf sich allein gestellt. Mit gerade achtzehn Jahren musste er das Beste aus seinem Leben in der Neuen Welt machen. Und so ereignisreich, verdorben und gewalttätig es auch gewesen sein mochte, es hatte ihn hierher in den Plaza Tower gebracht.
    Er hatte dafür gearbeitet, hatte jeden und alles benutzt, um es so weit zu bringen. Sogar Cathy, seine Cathy, wie er sie in Gedanken stets nannte. Auf ewig die Seine.
    Das Telefon klingelte, und das plötzliche Geräusch schreckte ihn auf. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Sein Privatanschluss.
    Jetzt, da das Telefon läutete, scheute er sich, den Hörer abzunehmen, fürchtete er sich vor dem, was er hören würde.
    Denn insgeheim wusste er sehr genau, was er hören würde .
    Die Stimme am anderen Ende war unverkennbar, eine leicht raue Frauenstimme, wie sie allein Transvestiten kultivieren können: weiblicher als die von Elizabeth Taylor, männlicher als seine eigene.
    »Mein Gott, Eamonn, sie stirbt! Cathy stirbt! Bitte komm! Bitte. Ich weiß nicht, was ich machen soll … Sie haben sie zerfleischt. Vor lauter Nähten kann man ihr Gesicht kaum mehr erkennen! O mein Gott, lieber Gott, hilf, dass ihr jemand …«
    Eamonn vergrub den Kopf in den sorgfältig manikürten Händen und weinte. Er hatte gedacht, auf die Nachricht vorbereitet
gewesen zu sein, aber das war er nicht. Er war ganz und gar nicht darauf vorbereitet.
    Er hatte etwas in Gang gebracht, und jetzt wusste er nicht, wie er es beenden sollte.

ERSTES
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