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Die Aufsteigerin

Titel: Die Aufsteigerin
Autoren: Martina Cole
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BUCH
    »Wir müssen dem Weg folgen, der zu unseren Ängsten führt.«
    - John Berryman (»A Point of Age«), 1914-1972
     
     
»Quem Jupiter vult perdere, dementat prius.« »Wen Gott zerstören will, dem schickt er erst den Wahnsinn.«
    - James Duport ( Homeri Gnomologia ), 1606-1679
     
     
»Eines ist ganz sicher - die Reichen werden reicher und die Armen kriegen Kinder.«
    - Gus Kahn, 1886-1941 und Raymond B. Egan, 1890-1952 (»Ain’t we got fun«, 1921)

Kapitel eins
    JANUAR 1960
    »Ich will da nicht rein. Er geht doch gleich auf uns los.«
    Cathy seufzte tief und strich dem Jungen eine Strähne aus der Stirn. »Und wo sollen wir sonst hin, Schlauberger?«
    »Können wir nicht nach nebenan, Cath?« Eamonns Stimme klang weinerlich, und sie schüttelte langsam den Kopf.
    Mrs. Sullivan wohnte direkt neben ihnen im zweiten Stock. Sie war eine grundgütige Seele und bot den Kindern stets Zuflucht, wenn zwischen deren Eltern Streit entbrannt war - was sehr häufig geschah. Eamonn Docherty Seniors erboste Stimme drang durch die Eingangstür, vor der sie standen, und immer wieder durchbrach Madge mit ihrem Kreischen seine wütende Tirade.
    »Wir dürfen sie nicht verarschen. Wenn wir sie nämlich mal wirklich brauchen, schickt sie uns zum Teufel. Also, ich sag dir …«
    Die Tür wurde aufgerissen, und Madge Connor stand in ihrer ganzen imponierenden Stattlichkeit vor ihnen. Ihr 100-Kilo-Leib war in einen gesteppten rosa Hausmantel gehüllt, das Make-up in ihrem breiten Gesicht verschmiert. Nur die Zigarette zwischen ihren geschwollenen Lippen bewegte sich, tanzte auf und nieder. Aus zusammengekniffenen Augen starrte sie die Kinder an und fauchte schließlich mit einer Stimme, die Glas hätte schneiden können: »Kommt ihr tatsächlich noch mal nach Hause, ihr faules Pack! Rein mit dir, Eamonn, und bring deinen Alten zur Ruhe! Der ist mal wieder auf der Zinne!«
    Cathy hörte, dass Eamonn Senior irgendwas von Irland brüllte,
und nachdem Eamonn Junior hineingegangen war, schloss sie ganz fest die Augen.
    Sie hatte sich immer gefragt, wie es wohl sein mochte, wenn man einen Vater hatte, aber nach zwei Jahren Zusammenleben mit Eamonn Senior war sie froh, nur mit ihrer Mutter fertigwerden zu müssen. Doch die beiden Erwachsenen bescherten Cathy und Eamonn einen nie endenden Alptraum. Entweder küssten oder prügelten sie sich. Eine entspannte, glückliche Zeit dazwischen gab es nicht. Beim Betreten der Wohnung schlug ihr der gewohnte Mief entgegen: Bratenfett und Katzenpisse, vermischt mit dem allgegenwärtigen Geruch aus offenen Bierflaschen. Mit diesem Geruch würde sie nie zurechtkommen. Er brannte ihr in der Nase und im Rachen, er schlug ihr jedes Mal auf den Magen und verdarb ihr die Laune. Der Gestank der Armut.
    Als sie den winzigen Vorraum betrat, löste der Liebhaber ihrer Mutter seinen Gürtel. Sein massiger Körper, an dem kein Gramm überflüssiges Fett war, wirkte furchteinflößend. Alles an Eamonn war gewaltig, von den Füßen, Schuhgröße 46, bis zu den riesigen blauen Augen, und die animalische Kraft und Schläue, die er ausstrahlte, ließ Männer geringerer Größe schon verzagen, bevor er noch ein Wort an sie gerichtet hatte.
    »Ich hack euch die verdammten Beine ab, ihr Dreckspatzen. Ich schreib mir eure Namen in mein Buch rein und streich sie gleich durch. Wie gefällt euch das?«
    Cathy seufzte erleichtert. Die blauen Augen zwinkerten ihr jetzt zu, sein Wutanfall schien vorüber, und weil er genug getrunken hatte, war sein ungezügelter Zorn beschwichtigt und einer grenzenlosen Zufriedenheit mit sich und der Welt gewichen. Er hatte seinen Lieblingswitz gemacht, einen alten IRA-Spruch aus den Tagen der Freiheitskämpfer. Anscheinend schreiben sie Namen in ihr Notizbuch, und wenn man sie durchstrich, wurden die Betreffenden bei Tagesanbruch erschossen.

    Cathy griente, als sie den großen Mann brüllen hörte. »Bei Tagesanbruch erschossen, beide. Wie gefällt euch das, äh?«
    Er senkte sein riesiges Gesicht ihnen entgegen, und sein Herz schien bersten zu wollen vor lauter Liebe zu den beiden Kindern, besonders zu dem Sohn, der seinen Namen trug, seinem einzigen Kind.
    »Chips hättet ihr gerne?« Er lächelte. Ein breites Grinsen, das eine Menge Zähne zeigte, sein Gesicht an all den richtigen Stellen mit Lachfalten überzog und jedem augenfällig machte, was die Frauen an ihm fanden. Denn Frauen liebten Eamonn Docherty - und zwar schon immer.
    Zumindest eine bestimmte Sorte Frauen.
    Madge Connor,
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