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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
Autoren: Frank McCourt
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Familie nicht damit rechnete, den Scheidenden in diesem Leben noch einmal zu sehen. Sie sagt, es ist sehr schade, daß Malachy nicht aus England zurückkommen kann, aber eines Tages werden wir alle mit Gottes und Seiner Gebenedeiten Mutter Hilfe in Amerika wieder vereint sein.

     
     
    An meinen freien Tagen gehe ich in Limerick spazieren und sehe mir alle Adressen an, wo wir mal gewohnt haben, die Windmill Street, O’Keeffe’s Lane, Hartstonge Street, Roden Lane, Rosbrien Road, Schoolhouse Lane, Little Barrington Street, die in Wirklichkeit eine Gasse ist. Ich stehe vor Theresa Carmodys Haus und sehe es an, bis ihre Mutter herauskommt und sagt, was wollen Sie? Ich sitze an den Gräbern von Oliver und Eugene auf dem alten Bestattungsgelände vor St. Patrick’s und gehe über die Straße zum St.-Laurentius-Friedhof, wo Theresa beerdigt ist. Überall, wo ich hingehe, höre ich die Stimmen der Toten, und ich frage mich, ob sie einem über den Atlantischen Ozean folgen können.
    Ich möchte, daß Bilder von Limerick in meinem Kopf bleiben, falls ich nie wieder zurückkomme. Ich sitze in der Josephskirche und in der Redemptoristenkirche und sage mir, sieh gut hin, denn vielleicht sehe ich es nie wieder. Ich gehe in die Henry Street, um dem hl. Franziskus Lebewohl zu sagen, obwohl ich sicher bin, daß ich auch in Amerika mit ihm werde reden können.
    Es gibt Tage, an denen ich nicht nach Amerika will. Dann möchte ich in O’Riordan’s Reisebüro gehen und meine fünfundfünfzig Pfund zurückverlangen. Ich könnte warten, bis ich einundzwanzig bin und Malachy mitkommen kann, damit
ich wenigstens einen Menschen in New York kenne. Ich habe seltsame Gefühle, und manchmal, wenn ich mit Mam und meinen Brüdern am Feuer sitze, spüre ich, wie Tränen kommen, und dann schäme ich mich, weil ich schwach bin. Zuerst lacht Mam und sagt, deine Blase sitzt bestimmt gleich hinter deinen Augen, aber dann sagt Michael, wir werden alle nach Amerika gehen, Dad wird da sein, Malachy wird da sein, und dann sind wir alle wieder zusammen, und ihr kommen selbst die Tränen, und so sitzen wir da, alle vier, wie die flennenden Tölpel.
    Mam sagt, dies ist das allererste Mal, daß wir eine Party haben, und ist es nicht eigentlich traurig, daß man sie feiert, wenn einem die Kinder eins nach dem andern entgleiten, Malachy nach England, Frank nach Amerika. Sie spart ein paar Shilling von dem Lohn, den sie dafür kriegt, daß sie sich um Mr. Sliney kümmert, um Brot, Schinken, Sülze, Käse, Limonade und ein paar Flaschen Stout zu kaufen. Onkel Pa Keating bringt Stout, Whiskey und ein bißchen Sherry für Tante Aggies empfindlichen Magen mit, und sie bringt einen Kuchen mit, den sie selbst gebacken hat, mit jeder Menge Korinthen und Rosinen drin. Der Abt bringt sechs Flaschen Stout mit und sagt, schon gut, Frankie, die kannst du alle trinken, solang du mir eine bis zwei Flaschen übrigläßt, damit ich mein Lied singen kann.

    Er singt Die Straße nach Rasheen. Er hält sein Stout fest, schließt die Augen, und das Lied kommt als hohes Winseln heraus. Die Wörter ergeben keinen Sinn, und jeder fragt sich, warum ihm Tränen aus den geschlossenen Augen sikkern. Alphie flüstert mir zu, warum weint er über ein Lied, das gar keinen Sinn hat?
    Ich weiß es nicht.
    Der Abt beendet sein Lied, öffnet die Augen, wischt sich die Backen ab und sagt uns, das war ein trauriges Lied über einen irischen Jungen, der nach Amerika ging und von Gangstern erschossen wurde, bevor ein Priester ihm zur Seite eilen konnte, und er sagt zu mir, laß dich nicht erschießen, wenn kein Priester in der Nähe ist.
    Onkel Pa sagt, das ist das traurigste Lied, das er je gehört hat, und ob vielleicht die Möglichkeit besteht, daß wir was Lebhaftes zu hören kriegen. Er fordert Mam auf. Ach nein, Pa, ich hab aber doch den Atem nicht.
    Komm schon, Angela, komm schon. Was Einstimmiges, los, was Einstimmiges, was Einstimmiges für Angela ohne Orchester.
    Na gut. Ich versuch’s.
    Beim Refrain ihres traurigen Liedes stimmen wir alle ein.
    Liebe dein Mutterherz,
Solang es noch schlägt.

Wenn es gestorben,
Ist es zu spät. Ref 3
    Onkel Pa sagt, jedes Lied ist ja schlimmer als das vorige, und soll dieser Abend endgültig zur Totenwache verkommen, besteht vielleicht doch die Möglichkeit, daß jemand ein Lied singt, welches etwas Schwung ins Verfahren bringt, diese geballte Trauer treibt ihn ja noch in den Suff.
    O Gott, sagt Tante Aggie, das hab ich glatt vergessen. Vor der Tür
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