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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
Autoren: Frank McCourt
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auf dem Postsparbuch immer mehr wird, und sie würde sterben, wenn sie wüßte, was ich mit dem Schreiben von Drohbriefen verdiene.
    Malachy hat einen neuen Job im Lagerraum einer Automobilreparaturwerkstatt, wo er den Mechanikern Teile reicht, und Mam kümmert sich um einen alten Mann, Mr. Sliney, draußen auf
der South Circular Road, während seine beiden Töchter jeden Tag zur Arbeit gehen. Sie sagt mir, wenn ich da draußen Zeitungen ausliefere, soll ich doch mal auf Tee und ein Sandwich vorbeischauen. Die Töchter erfahren nichts davon, und der alte Mann hat nichts dagegen, weil er meistens nur halb bei Bewußtsein ist, nachdem er jahrelang für die englische Armee in Indien die Knochen hingehalten hat.
    Friedlich sieht sie in der Küche dieses Hauses aus mit ihrer makellosen Schürze, alles um sie herum sauber und poliert, draußen im Garten nicken Blümchen, Vögel zwitschern, Musik von Radio Eireann kommt aus dem Radio. Sie sitzt am Tisch, und auf dem Tisch steht eine Kanne Tee, und es gibt Tassen mit Untertassen, jede Menge Brot, Butter, alle Sorten kaltes Fleisch. Ich kann jede Art Sandwich haben, aber ich kenn nur Schinken und Sülze. Sülze hat sie nicht, weil so was nur die Leute essen, die in Gassen wohnen und nicht in einem Haus in der South Circular Road. Sie sagt, die Reichen essen keine Sülze, denn da kommt rein, was sie in den Speckfabriken vom Fußboden und von den Arbeitstischen aufsammeln, und man weiß nie, was man kriegt. Die Reichen sind sehr eigen mit dem, was sie zwischen zwei Scheiben Brot stecken. Drüben in Amerika heißt Sülze Kopfkäse, und sie weiß nicht, warum.

    Sie gibt mir ein Schinkensandwich mit saftigen Tomatenscheiben und Tee in einer Tasse mit kleinen rosa Engeln, die herumfliegen und mit Pfeilen auf andere Engel schießen, die hellblau sind, und ich frage mich, warum können sie keine Teetassen und Nachtgeschirre ohne alle Sorten von Engeln und Mägdelein herstellen, die in der Schlucht herumtollen. Mam sagt, so sind die Reichen, sie lieben ein bißchen Schmuck, würden wir doch auch, wenn wir das Geld hätten. Ihre beiden Augen würde sie hergeben, wenn sie so ein Haus kriegen könnte, mit Blumen und Vögeln draußen im Garten, und das Radio spielt dies wunderschöne Warschauer Konzert oder Olwyns Traum, und es gibt Tassen mit Untertassen ohne Ende, auf denen Engel Pfeile abschießen.
    Sie sagt, sie muß mal nach Mr. Sliney sehen, er ist so alt und schwach, daß er manchmal vergißt, nach dem Nachtgeschirr zu rufen.
    Nachtgeschirr? Mußt du seinen Nachttopf ausleeren?
    Natürlich.
    Jetzt sind wir still, denn wir erinnern uns, glaube ich, an die Ursache für all unseren Ärger, Laman Griffins Nachtgeschirr. Aber das ist schon lange her, und jetzt ist es Mr. Slineys Nachtgeschirr, und das schadet nichts, denn sie wird dafür bezahlt, und er ist harmlos. Als sie zurückkommt,
sagt sie mir, Mr. Sliney würde mich gern mal sehen, also geh hin, solang er wach ist.
    Er liegt in einem Bett im vorderen Salon, das Fenster ist mit einem schwarzen Laken verhängt, es ist stockfinster. Er sagt zu meiner Mutter, heben Sie mich ein bißchen an, Missis, und reißen Sie das verdammte Ding vom Fenster, damit ich den Jungen sehen kann.
    Er hat lange weiße Haare bis auf die Schultern. Mam flüstert mir zu, daß ihm die niemand schneiden darf.
    Er sagt, ich habe meine eigenen Zähne, mein Junge. Ist das wohl zu glauben? Hast du auch noch deine eigenen Zähne, mein Junge?
    Ja, Mr. Sliney.
    Aha. Ich war nämlich in Indien. Ich und Timoney hier in der Straße. Die Limerick-Bande in Indien. Kennst du Timoney mein Junge?
    Ich habe ihn gekannt, Mr. Sliney.
    Er ist nämlich tot. Blind geworden, der arme Kerl. Ich habe noch mein Augenlicht. Ich habe noch meine Zähne. Behalte deine Zähne, mein Junge.
    Ja, Mr. Sliney.
    Ich werde müde, mein Junge, aber eins will ich dir noch sagen. Hörst du mir überhaupt zu?
    Ja, Mr. Sliney.
    Hört er mir überhaupt zu, Missis?
    Aber ja, Mr. Sliney.

    Gut. Jetzt kommt, was ich dir sagen will. Beuge dich zu mir herüber, damit ich es dir ins Ohr flüstern kann. Was ich dir sagen will, ist dies: Rauche nie die Pfeife eines anderen Mannes.
     
     
    Halvey geht mit Rose nach England, und ich muß den ganzen Winter auf dem Botenjungenfahrrad bleiben. Es ist ein bitterkalter Winter, überall Eis, und ich weiß nie, wann das Rad unter mir wegrutscht und ich auf die Fahrbahn oder den Bürgersteig fliege und um mich herum die Zeitschriften und Zeitungen verstreut sind.
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