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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde
Autoren: Vonda N. McIntyre
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schlüpfte sie hinaus in den verlassenen Radialstollen. Sie schlug die Richtung zum Zentrum ein und passierte die konzentrisch angelegten Ringstollen, bis sie auf die Alpha-Spirale hinauskam, die sich parallel zur Beta-Spirale die Innenwand des Zentrums hinaufzog. Sie setzte sich auf die Rampe und blickte über die weite Höhle hinaus. Jenseits des Wohnbezirks der reichen Familien, die über lebenswichtige Dienstleistungen wachten und sie beherrschten, war das hohe und massige Tor zur Außenwelt zu sehen, geschlossen für den Winter, während draußen die kalten Sandstürme tobten. Mischa vermißte die orangefarbene Sonne und den schimmernden Sand, die verkrüppelten Kakteen und Dornensträucher und die wechselnden Gestalten der Wanderdünen, die sorglose Art der Nomaden mit ihren Handelskarawanen. Am erstaunlichsten aber war es, wenn einmal oder zweimal im Jahr dunkle Wolken aufzogen und Regengüsse auf die Wüste niederprasselten, die sich daraufhin für kurze Zeit mit Grün und duftenden Blüten bedeckte. Dieses Ereignis stellte alles in den Schatten, was es sonst noch geben mochte, sogar den sich gelegentlich bietenden Anblick eines draußen auf dem Feld landenden Schiffes.
    »Hallo, Misch!«
    Sie blickte auf. »Ach, du. Hallo.« Kevin war in ihrem Alter, hatte glänzendes schwarzes Haar, ebensolche Augen und ein rundes, freundliches Gesicht. Im Verlauf des letzten Jahres hatte er sie im Wachstum überholt. Er war ein mittelmäßiger Dieb; zum guten fehlte ihm die Erkenntnis, daß man seinen eigenen Impulsen nicht immer trauen durfte. Nicht einmal das Ertapptwerden hatte ihn das gelehrt, aber die meiste Zeit arbeitete er mit einer Bande. Er war nahe daran, sich selbst einzugestehen, daß er ein Mitläufer war.
    »Wie geht das Geschäft?« Sein Tonfall war zuvorkommend, beinahe salbungsvoll.
    Mischa wollte nicht mit ihm reden oder ihm zuhören; er erinnerte sie an Dav. »Was hat Dav dir aufgetragen?«
    »Na hör mal, Misch ...« Er blickte sie mit einem Ausdruck gekränkter Unschuld an.
    »Ich habe diese Versuche, mich wieder für euren Verein zu keilen, wirklich satt.«
    »Diese Geschichte damals war reines Pech. Du bist auch nur einmal mit uns gewesen.«
    Sie versagte es sich, ihm zu erklären, was sie unter Pech verstand. »Das stimmt. Ich bin nur einmal mit euch gewesen.« »Mit uns könntest du viel mehr herausholen.«
    »Ich könnte auch böse auf den Bauch fallen.«
    »Ich soll dir von Dav sagen, daß du freie Hand hättest. Die anderen würden tun, was du ihnen sagst.«
    »Das sagte er letztesmal auch. Und die anderen sagten, sie würden mir folgen. Aber sie taten es nicht. Und ich war diejenige, die erwischt wurde.«
    »Er holte dich raus, oder nicht?«
    »Das stimmt. Und wo wart ihr anderen, als er es tat?« Kevin hob die Schultern und sah weg.
    »Ich arbeite besser allein«, sagte Mischa. »Lassen wir es dabei.«
    »Na gut .. .« Er sagte es widerstrebend, als hätte er Anweisungen, die er nicht unausgeführt lassen wollte.
    »He!« sagte Mischa.
    »Was?«
    Sie zeigte zur anderen Seite hinüber. Eine der Türen des Steinpalastes schloß sich langsam hinter einem Kind, das ein Kleid aus Goldbrokat und eine breite goldene Halskette trug. Es trippelte in unbewußter, durch den Babyspeck und die langen, mit bunten Schleifen geschmückten Locken noch verstärkter Parodie auf die Erwachsenen geziert durch den Sand dahin.
    »Komm mit!« sagte Mischa.
    Kevin folgte ihr die Spirale hinunter. »Was hast du vor?« »Woher soll ich das wissen?« sagte sie, als hätte sie festumrissene und alles andere als friedfertige Pläne.
    »Du bist verrückt«, sagte Kevin, als er die erwartete Gedankenverbindung hergestellt hatte.
    »Dann such dir andere Gesellschaft.«
    Er folgte ihr, und sie folgten dem Kind auf seinem Weg. Mischa war aus Gewohnheit vorsichtig, obwohl das Kind völlig arglos schien, sich nicht umsah, keine Neugierde zeigte und geringschätzig auf alles herabzusehen schien, was es umgab. Es rümpfte die Nase über Schmutz und Unordnung, wo es hätte in der Sandkiste spielen sollen. Es schien sehr stolz auf sich selbst, auf seine Pflichten und auf die Halskette zu sein.
    Das Kind ging mitten auf dem Weg und hatte die Richtung zum Viertel der reichen Familien eingeschlagen. Kevin wurde zusehends nervös. Er und Mischa waren in diesem Teil der Stadt fehl am Platz. »Aber was willst du machen?«
    »Ich sagte dir, daß ich es noch nicht weiß.«
    »Warum vergeudest du Zeit damit?«
    »Das ist der Grund, warum ich
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