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Die Angst der Woche

Die Angst der Woche

Titel: Die Angst der Woche
Autoren: Walter Krämer
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bei uns. Zwar ist die reine Anzahl an Panikmeldungen deutlich geringer, wie ich weiter unten durch Auszählen ausgewählter Tageszeitungen noch zeigen werde, aber die Berichte sind genauso wie hierzulande von den wahren Gefahren abgekoppelt; Todesfälle durch Feuerwerke, Achterbahnen oder Schlangenbisse erzeugen hundert-, ja tausendmal mehr Kommentare als andere Risiken, die weit gefährlicher sind.
    Nun ist vielleicht noch einzusehen, dass ein Opfer eines Schlangenbisses oder einer Haiattacke, eben weil das so selten ist, mehr Aufmerksamkeit beansprucht und auch beanspruchen darf als das Opfer einer Lebensmittelvergiftung. Aber warum es fünfmal medienträchtiger ist, durch ein Boot statt durch ein Fahrrad umzukommen, verstehe ich nicht ganz.
    Â 
    Als nächste Gemeinsamkeit vieler Meldungen fällt auf: Es ist fast immer nur von der Existenz einer Gefahr die Rede. Die Umweltorganisation Global 2000 findet in fünf von zehn getesteten Babyschnullern das krebserregende Bisphenol A. Plastiküberzüge von Autolenkrädern emittieren krebserregende polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe. In friesischer Schafsleber werden Dioxin und PCB gefunden. Acht von 17 Kindersocken enthalten potenziell gesundheitsschädliche Weichmacher. In 500 Färbemitteln befinden sich stark gesundheitsgefährdende Substanzen. In Fleischersatz stecken Spuren einer gentechnisch veränderten Soja-Suppe usw.
    Nun lässt sich wohl noch nachvollziehen, dass eine Schlagzeile keinen Platz für Grenzwerte und Mengen hat. Aber oft schweigt sich auch der eigentliche Text über die Größe der Gefahr aus. Und wenn er sie erwähnt, dann zeigt sich meist der ganze, durch die Fakten kaum zu rechtfertigende Alarmismus einer Titelzeile. So ködert etwa die Welt unsere Aufmerksamkeit mit der Meldung Ȇber 80 Schadstoffe im Essen eines Zehnjährigen«. Sie bezieht sich dabei auf eine Studie der französischen Verbraucherorganisation Generation Future, wonach im täglichen Essen eines zehnjährigen Kindes 80 teils krebserregende Substanzen enthalten seien. Das ist zwar richtig, aber irrelevant, wie die Welt auch selbst weiter unten im Text wahrheitsgemäß zugeben muss: »Zwar seien die gesetzlichen Grenzwerte für jede einzelne der Substanzen in fast allen Fällen nicht überschritten worden, doch zeige die Studie, wie stark der Verbraucher einem Schadstoffcocktail ausgesetzt sei.« Von den gefundenen Substanzen waren 42 vermutlich oder wahrscheinlich krebserregend, außerdem sollen 37 Substanzen das Hormonsystem beeinträchtigen.
    Na klar, wenn man sie literweise isst und trinkt.
    Eher selten sind Artikel wie der über den PCB-Alarm auf dem Dortmunder TU-Campus, meiner eigenen Arbeitsstelle, der über erhöhte Blutwerte beim Uni-Personal berichtete. Die Meldung ist erschienen in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 4. Dezember 2010 und beginnt wie üblich: »Langjährige Uni-Mitarbeiter haben erhöhte PCB-Werte im Blut.« Da fragt man sich natürlich: Um wie viel erhöht? Ist das gefährlich? Sind Grenzwerte überschritten? … Genau das erfährt man nämlich meist nicht. In diesem Artikel zeigt die WAZ jedoch, wie man dieses Thema seriös behandeln kann (wenn man denn will): »Messungen der Raumluft in den Geschossbauten IV und V ergaben hohe Giftkonzentrationen mit einem Spitzenwert über 2800 ng PCB pro m 3 . Weniger als 300 ng pro m 3 gelten als langfristig tolerierbar, 900 ng pro m 3 als grenzwertig für Schwangere. Ab 3000 ng pro m 3 müssen Räume sofort geräumt und saniert werden.« Genau diese Informationen sind es, die man sich wünscht und sehr oft nicht erhält. Wie auch den Hinweis darauf, dass die Blutwerte der Beschäftigten erhöht seien, aber nur bei Personen, die länger als 50 Jahre und länger als 30 Stunden/Woche in den Gebäuden gearbeitet hätten, und das auch nur so geringfügig, dass die Gesundheit nicht gefährdet sei. Wäre dies der Standard in der deutschen Medienberichterstattung über Gefahr und Risiko, hätte dieses Buch nicht geschrieben werden müssen.
    Â 
    Die nächste Gemeinsamkeit sehr vieler Gefahrenmeldungen ist der Konjunktiv: Das und das könnte Krebs erzeugen, die Männer impotent, die Frauen dicker machen oder gar Haarausfall bewirken – könnte, könnte, könnte. Ginkgo-Tees könnten Allergien hervorrufen, Wassertropfen
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