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Die Angst der Woche

Die Angst der Woche

Titel: Die Angst der Woche
Autoren: Walter Krämer
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aus Duschköpfen könnten Keime in die Lungen empfindlicher Menschen übertragen, durch Nanopartikel könnte es zu ernsthaften Gesundheitsgefahren kommen, Schadstoffe in der Luft könnten bei kleinen Kindern eine Mittelohrentzündung begünstigen, Billigrollstühle könnten umkippen und den Patienten unter sich begraben usw.
    Als am 7. Dezember 1835 die erste dampfgetriebene deutsche Eisenbahn ihren Betrieb begann, gab es lautstarke Proteste besorgter Bürger, die Dampfkessel könnten explodieren, Bauern fürchteten, das Vieh auf ihren Weiden könnte durch die vorüberrasenden Züge unfruchtbar werden, und Ärzte gaben zu bedenken, die Passagiere könnten bei den bislang unerhörten Reisegeschwindigkeiten von sage und schreibe 35 km/h in gefährliche Ohnmachten verfallen. Und so zieht sich das »könnte« wie eine Naturkonstante durch die Geschichte der menschlichen Bedenkenträgerei. Während ich diese Zeilen an meinem Schreibtisch an der TU Dortmund schreibe, könnte über mir ein Jumbo auf dem Weg nach Düsseldorf alle Triebwerke verlieren und dieses Buch zu einem frühzeitigen Ende bringen. Das ist mindestens so wahrscheinlich wie ein GAU beim Kernkraftwerk in Biblis, wo ich einmal auf der Weihnachtsfeier einen Festvortrag gehalten habe. Trotzdem machen sich aber viele Anwohner von Biblis große Sorgen, vor allem nachdem sie in Japan gesehen haben, was ein Tsunami alles anrichtet, die meisten Menschen in den Einflugschneisen deutscher Verkehrsflughäfen dagegen nicht.
    Dann liest man immer wieder: Das Risiko für x ist um 50 Prozent gestiegen, hat sich verdoppelt, verdreifacht usw.: »Schon bei einem Einsatz der Sprays nur einmal pro Woche sei das Risiko für Atemwegsbeschwerden um das Anderthalbfache erhöht.« Dergleichen Nachrichten haben einen Informationswert von nahe null, diese Änderungen in einem Risiko sind für sich allein völlig uninteressant. Wenn ohne den regelmäßigen Verzehr von fetter Currywurst zwei von 100 000 Menschen jährlich an Darmkrebs sterben, mit Verzehr dagegen drei, so steigt das Risiko durch die Currywurst um 50 Prozent. Panik! Wenn durch Currywurst der Anteil von Darmkrebstoten von 1000 pro 100 000 auf 1500 pro 100 000 steigt, dann ist auch das eine Erhöhung des Risikos um 50 Prozent. Wieder Panik. Aber jetzt zu Recht. Es ist das absolute Risiko, das zählt, die in den Medien so lustvoll zelebrierten relativen Risiken sind für die Abschätzung von Gefahren völlig irrelevant.
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    Und ganz besonders ärgert mich als Statistiker das routinemäßige Gleichsetzen von Korrelation und Kausalität. Korrelation (genauer: positive Korrelation) bedeutet: Zwei Variable bewegen sich systematisch in die gleiche Richtung. Wenn die eine steigt, steigt auch die andere, wenn die eine fällt, fällt auch die andere. Ein schönes Beispiel ist das Verhältnis von Körpergröße und Gewicht. Große Menschen wiegen im Allgemeinen mehr als kleine; nicht unbedingt in jedem Einzelfall, aber im Großen und Ganzen schon. Man nennt das auch »positive Korrelation«. Ein weiteres Beispiel, das dem Erfinder des Korrelationskoeffizienten, dem englischen Statistiker Francis Galton (der dafür zu Sir Francis Galton geadelt wurde), als Ausgangspunkt seiner Überlegung diente, ist die Körpergröße von Vätern und Söhnen: Große Väter haben im Allgemeinen große Söhne, kleine Väter haben im Allgemeinen kleine Söhne. Auch hier ist die Körpergröße von Vater und Sohn positiv korreliert.
    Es gibt allerdings auch die negative Korrelation: Wenn die eine Variable steigt, dann fällt die andere, und wenn die eine Variable fällt, dann steigt die andere. Das kommt im wahren Leben seltener vor als die positive Korrelation, aber auch hier gibt es Beispiele. Etwa die Zahl der Tore, die ein Bundesliga-Fußballverein in einer Saison geschossen und sich eingefangen hat. Hier ist die Zahl der geschossenen und der eingefangenen Tore im Allgemeinen negativ korreliert. Je mehr man schießt, desto weniger fängt man sich selbst ein. In der Saison 2010/2011 zum Beispiel hat mein Lieblingsverein Borussia Dortmund in 34 Ligaspielen 67 Tore geschossen und 22 Tore eingefangen und wurde damit Meister. Der Tabellenletzte St. Pauli dagegen hatte nur 35 Tore geschossen, aber 68 eingefangen und ist damit abgestiegen. Der Tabellenvorletzte
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