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Die Angst der Boesen

Die Angst der Boesen

Titel: Die Angst der Boesen
Autoren: Kristina Dunker
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hatte sie keine Angst, dass Lilly, die auch im Team für die Dokumentation der Abschlussfahrt war, so ein Foto in Großformat auf Pappe klebte und in der Pausenhalle aufhängte? Jeder, auch Paul, würde sagen, dass das Lilly locker zuzutrauen wäre.
    »Komm mit aufs Foto!« Levent winkte Lilly mit dem freien Arm.
    »Keine Lust.«
    »Aber ich will meine beiden Lieblingsfrauen bei mir haben. Ich will ein Foto von uns, ich mit dir und Silke im Arm.«
    Weinselig, wie die Hoffmann war, merkte sie nicht, dass sie verarscht wurde. »Na los, Lilly«, rief sie, »ist doch ein schönes Andenken an unsere Abschlussfahrt.«
    Lilly würdigte die Lehrerin keines Blickes. Deren joviale Art ging ihr auf die Nerven.
    »Warum bist du nicht mit den andern mitgegangen?«, fragte sie Levent.
    »Bin verletzt.« Er zeigte grinsend auf seinen bandagierten Fuß, mit dem er gestern Abend wie ein Irrer zusammen mit Sven gegen den Getränkeautomaten getreten hatte, weildarin eine Zwanzigcentmünze stecken geblieben war. Zur Hoffmann gewandt ergänzte er: »Umgeknickt, wegen der scheiß Straße hier, lauter Löcher drin, sollten die mal reparieren.«
    Silke Hoffmann nickte: »Wenn es nicht besser wird, Levent, fahren wir morgen früh zum Arzt. Jetzt kommt: lächeln!«
    Widerwillig stellte Lilly sich dazu. Viel zu oft ließ sie sich breitschlagen von dummen Frauen und frechen Jungs wie Sven und Levent, die nichts hatten außer ihrer großen Klappe, ihrem Stolz und ihrer Männlichkeit – und, nicht zu vergessen, ihren Händen, die ganz schnell genau da hinlangten, wo man sie nicht erwartete.
    Jedenfalls Silke Hoffmann nicht. Sie kreischte los, mitten beim albernen »Spaghetti«-Ausruf, und zog Levents Hand aus ihrer Bluse wie einen nassen Fisch. Wenigstens konnte Lilly während des losbrechenden Gelächters und Hand-Abklatschens verschwinden.
    Diese Idioten! Es wurde wirklich Zeit, dass die zehnte Klasse zu Ende ging und sich die meisten Wege trennten.
    Zuerst lief Lilly zur Straße, in der absurden Hoffnung, dort doch noch die Clique zu sehen. Danach ging sie deutlich langsamer hinter die Jugendherberge, schaltete ihren iPod an, schickte eine SMS an Paul – Wo seid ihr? Kann ich nachkommen? – und legte sich auf eine der steinernen Tischtennisplatten.
    Obwohl sie sich an der Küste befand, waren kaum Sterne zu sehen. Das einzig Urlaubshafte war der Salzgeschmack auf den Lippen, wenn sie sich mit der Zunge darüberfuhr. Außerdem spürte sie das Piksen einer sperrigen Muschelscherbe in ihrer engen Hosentasche. Etwas Wahres war schon dran gewesen, als sie Paul geschockt hatte mit der Bemerkung über die Dekoration der Badewanne, in der sie sich umbringen wollte.
    Es gab so viel, was ihr an ihr selbst nicht gefiel. Zum Beispiel dass sie so oft Nein sagte und dann doch nachgab. Oder dass sie sich ständig mit anderen Menschen streiten musste, ob sie wollte oder nicht. Auch dass sie immer noch nicht wusste, was sie nach der Schule machen sollte, und natürlich, dass sie wieder mal falsch und hoffnungslos verliebt war, weil das Thema Jungs sich bei ihr nur verkorkst gestaltete.
    Mit denen aus ihrer Klasse wollte sie jedenfalls nichts mehr zu tun haben. Ihr momentaner Schwarm hieß Jan-Oliver, kam aus einem anderen Stadtteil und damit fast aus einer anderen Welt. Er machte nie anzügliche Bemerkungen, behandelte sie freundlich, hörte ihr zu, zeigte Gefühle und konnte sich über mehr unterhalten als Fußball, Fernsehen und technische Geräte. Jan-Oliver ähnelte vom Charakter her Paul, nur dass er eben nicht ihr Freund seit Kindertagen war. In Paul könnte sie sich – unabhängig davon, ob es ihm recht wäre oder nicht – nie verlieben, weil er für sie wie zur Familie gehörte. Paul war ihr Seelenzwilling, nicht weniger, aber auch nicht mehr.
    Jan-Oliver also war der Name, den sie am liebsten tief in die Tischtennisplatte geritzt hätte. Jan-Olivers Augen hatten genau die Farbe, die der Himmel über ihr hatte: blasses Blaugrau. In diesem Augenblick war Jan-Oliver über dreihundert Kilometer von ihr entfernt. Er dachte nicht an sie, es sei denn zufällig.
    Ihr Handy vibrierte, zeigte eine SMS an. Paul schrieb, dass sie an der Tankstelle eingekauft hätten und jetzt auf einen Friedhof gingen. Die Stimmung sei schlecht. Er wollte zurückkommen.
    Warte auf mich, ok?
    »Okay«, seufzte Lilly laut und wunderte sich, dass sie sich gar nicht freute. Sie hasste es zu warten, aber dass sie jetzt die Stirn krauszog und leicht nervös in die Richtung
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