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Die Angst der Boesen

Die Angst der Boesen

Titel: Die Angst der Boesen
Autoren: Kristina Dunker
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ergoss sich über den Bürgersteig; Sven stieg darüber hinweg. Ganz ruhig und so, als wolle er sich auf keinen Fall die Turnschuhe dreckig machen, ging er auf Paul zu.
    Tatjana wusste, dass es jetzt losging.
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    Paul spürte, wie seine Handflächen nass von Schweiß wurden und sein Herz schneller schlug. Pinkeln musste er plötzlich auch. Verdammt, das musste ja irgendwann so kommen, dass Sven ihn mit diesem Blick ansah und sein Butterflymesser auf- und zuschnacken ließ.
    Vielleicht sollte er rennen. Aber wohin?
    Zur Jugendherberge, sich wie ein Grundschüler hinter Frau Hoffmann verstecken und sagen: »Da, der, Frau Lehrerin, der will mir was«? Nein, das kam nicht infrage. Wenn es denn unausweichlich war, würde er diese Schläge jetzt einstecken und nicht später vor allen anderen im Schlafraum oder auf der Herrentoilette.
    Was ihm heute blühte, war längst überfällig.
    Schon am allerersten Tag, als die Sitzenbleiber Sven und Levent in ihre Klasse gekommen waren, hatte Paul gewusst, dass die Angst jetzt sein ständiger Begleiter sein würde. Die beiden hatten sich direkt hinter ihm in die letzte Reihe gesetzt. Ihm war eine Gänsehaut über den Rücken gelaufen,zwischen seinen Schulterblättern hatte es unentwegt geprickelt und er hatte den Drang verspürt, mit seinem Stuhl möglichst weit nach vorn zu rutschen.
    Levent war relativ harmlos, eben der übliche Macho: immer breitbeinig und mit zurückgelehntem Oberkörper dasitzen, völliges Desinteresse am Unterricht ausstrahlen, jede Wortmeldung der anderen ins Lächerliche ziehen, seine fragwürdige Meinung über Frauen ausposaunen und sich trotzdem fast einstimmig zum Klassensprecher wählen lassen. Eins von Levents Lieblingsspielchen mit Paul war es, mit offenem Mund einen Kaugummi nach dem anderen zu zerschmatzen und die fertig gekauten in hohem Bogen in seinen Nacken zu spucken. Etliche ekelige, nasse Kügelchen waren in Pauls Kragen gefallen. Das war erniedrigend gewesen, sicher. Noch schlimmer aber waren Svens Bemerkungen, wenn Paul versuchte, den Kaugummi aus Hemd oder Hosenbund herauszulösen.
    »Frau Hoffmann, tun Sie was, der Paul fummelt sich hier wieder am Hintern rum!«
    Dann hatte die Klasse gejohlt, obwohl alle natürlich wussten, was los war. In vielen Gesichtern lag nicht nur Erleichterung darüber, dass es sie nicht selbst getroffen hatte, sondern auch Schadenfreude, dass ausgerechnet er dran glauben musste.
    Gequält wurden in der Klasse mindestens vier Jungs, damit hätte Paul also leben können. Doch keinen der anderen hatte Sven auf diese Weise auf dem Kieker wie Paul, keinem anderen glotzte er demonstrativ auf den Hosenstall und fragte: »Sag mal, kann’s sein, dass du eigentlich ein Mädchen bist?«
    Dass ich mir einen Schutzpanzer zugelegt habe, hinter dem ich mein wahres Ich verberge, hatte er vorgestern in einem Chat geschrieben, liegt vor allem an Sven Lange.
    Die Antwort war schnell gekommen: Wie sehr uns einzelne Arschlöcher fertigmachen ... Vielleicht ist es irgendwann mal Zeit, sich zu wehren.
    Paul hatte eine Weile überlegt, bevor er zurückschrieb, und dann war es nur ein einziges Wort gewesen: Vielleicht.
    Er war noch immer nicht der Meinung, dass er ausgerechnet jetzt etwas gegen Sven tun sollte. Nicht nachdem er so lange durchgehalten hatte und sich schon auf der Zielgeraden befand. Seine Strategie, sich unauffällig durch den Schulalltag zu ducken, war bisher einigermaßen aufgegangen. Nun waren es nur noch viereinhalb Wochen bis zum Verlassen der Schule, bis zum Beginn der Freiheit.
    Eine Zeitspanne, die ihm allerdings von Tag zu Tag länger zu dauern schien. Sein erster Fehler war gewesen, dass er sich nicht vor der Abschlussfahrt gedrückt hatte. Hätte er doch wenigstens vermieden, den Abend mit Lillys furchtbaren Freunden zu verbringen. Das war extrem dumm gewesen.
    Doch nachdem Lilly durch die abgeschlossene Klotür »Haut alle ab, ich will keinen von euch mehr sehen!« gebrüllt hatte, war ihm ja gar nichts anderes übrig geblieben, als sich anzuschließen. Peinlich genug, dass er ihr in den Mädchenwaschraum gefolgt war, denn das war schließlich eine No-go-Area für einen Mann. Als er die Blicke von Sven, Levent, Leon und Ilkay gesehen hatte, hatte er so hart wie eben möglich gesagt: »Soll sie doch da drin verrotten. Gehen wir!«
    Zu seiner Erleichterung hatten sie genickt und ihn kommentarlos mitgenommen. Levent, der wegen seiner Fußverletzung humpelte, war in der Jugendherberge geblieben.
    Die harmonische
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