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Die Angst der Boesen

Die Angst der Boesen

Titel: Die Angst der Boesen
Autoren: Kristina Dunker
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den Fersen. Redet davon, dass wir zusammengehören, von wegen Familie, will mich retten und von der Straße holen.
    Scheiße, was ich hab ich jetzt für ’nen Tattermann! Bin voll am Schlottern. Beim Gedanken an Gerd brauch ich unbedingt was zu trinken.
    Eigentlich will ich ja aufhören. Runter von den Drogen.Kann jeder sehen, was die aus einem machen.
    Ich will zu Marie.
    Manchmal kann ich Marie sehen, direkt vor meinen Augen.
    Ich seh Marie in knackigen Jeans, geht vor mir her und ihr Pferdezopf schlägt im Takt auf die abgewetzte Lederjacke mit den Aufnähern. Schiebt das Bändchen an ihrem superengen Slip runter und hat meine Initialen auf ’m Hüftknochen tätowiert. So mager ist die da schon, dass der Knochen richtig rausragt. Fährt mir mit der Zunge in den Mund. Ihr Piercing schlägt mit einem leisen Klacken an meine Schneidezähne.
    Nie mehr spür ich das. Nie mehr hör ich ihre Stimme, spreche nur noch mit mir selbst.
    Da sagt ausgerechnet mein Vater, ich soll kämpfen. Er will alles wiedergutmachen, sich mit Mama versöhnen, mit mir. Will selber nie mehr trinken. Der Alkohol wär an allem schuld, sagt er.
    Ich trink auch und nicht grad wenig. Trotzdem bin ich ein friedfertiger Mensch. Das Böse liegt nicht im Alkohol, sondern im Charakter.
    Gerd sagt, ich soll zum Grab gehen, Abschied von Marie nehmen und danach einen Entzug machen. Hat schon einen Platz für mich, sagt er. Hat einen Plan: Therapie und Reha und dann Job in ’ner Behindertenwerkstatt.
    Was ich nicht auf die Reihe kriege: Er, der für alles verantwortlich ist, will mir jetzt aus der Patsche helfen?
    Das will mir nicht in den Schädel, sooft ich mir auch mit der Faust an die Stirn schlage: Das geht nicht rein.
    Gerd will doch nur vor sich selbst gut dastehen.
    Er sagt, es täte ihm leid. Sagt, er habe sich verändert. Sei ein anderer Mensch geworden. Menschen könnten sich ändern, bereuen und Fehler wiedergutmachen, sagt er.
    Ich weiß nicht.
    Aber er hat mir sogar ’n Handy geschenkt: teures Teil, neuste Technik.
    Rausgeschmissenes Geld.
    Ruf ich Gerd an?
    Ich hab schon als Kind nicht Papa zu dem sagen wollen.
    Mach ich’s trotzdem?
    Sag ich ihm, dass ich am Grab war und er mich abholen soll, weil ich fertig bin? Ganz fertig.
    Bevor ich anrufe, wenigstens noch ein Bier.
    Da drüben, die Jugendlichen, die den Friedhof ansteuern, die haben was zu trinken dabei. Ist der eine nicht schon stramm? Die werden ja wohl nicht so sein? Sehen doch genau so aus wie ich vor fünf Jahren, war auch immer draußen bei den Kumpels, Partystimmung.
    Oder doch lieber sein lassen, die anzuhauen?
    Lieber ziehen lassen, das könnt sonst böse ausgehen?
    Wieso hab ich jetzt so ’n schlechtes Gefühl?
    Nur weil der eine gegen eine Mülltonne tritt? Weil die so ’ne heiße Braut dabeihaben, die ihnen den Kopf verdreht? Weil sonst kein Mensch mehr auf der Straße ist?
    Ja und, soll mir etwa die Igelschutztante zur Seite stehen?
    Besser vorsichtig sein, wegbleiben, abhauen?
    Ey, wer bin ich denn?! Hab ich je Schiss gehabt, auf die Leute zuzugehen? Hab ich je den Schwanz eingezogen? Zigtausendmal hab ich Leute angequatscht, die nicht angequatscht werden wollten. Also ich geh da jetzt hin, Handy in der Hand, schlurf ich da hin, grins die Braut an und sag: »Habt ihr mal ’n bisschen Kleingeld für mich?«
2
    Lilly war wie so oft zu spät dran.
    Als sie endlich aus der Klokabine kam und alle Wuttränen weggeblinzelt hatte, waren die anderen schon gegangen und der Kellerflur leer.
    Sie ahnte, dass sie jetzt für ihre Bockigkeit büßen musste, und spürte, wie eine neue Wut in ihr hochkochte – kaum war der Ärger über die Freundin verraucht, kam der Ärger über sich selbst. Warum hatte sie so lange geschmollt? Sie wusste doch, dass sie Tatjana keine Geheimnisse verraten durfte. Tatjana war nie vertrauenswürdig gewesen, nicht aus Bosheit, sondern weil sie anscheinend gar nicht verstand, dass es Dinge gab, die man besser für sich behielt.
    Vielleicht konnte sie die anderen noch einholen. Aber wenn sie die Jugendherberge schon verlassen hatten und irgendwo waren, wo’s was zu trinken gab, wo was los war und man nicht umkam vor Langeweile, dann würde sie ihre Freunde nicht mehr finden und der Abend wäre gelaufen. Das Schlimmste daran wäre nicht das Alleinsein, sondern dass Paul keine ruhige Minute hätte, wenn er ohne sie dabei wäre. Ohne seine beste Freundin müsste Paul nämlich zusehen, dass er die Zeit mit der Bande heil überstand. Der Gedanke trieb sie
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