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Die Angst der Boesen

Die Angst der Boesen

Titel: Die Angst der Boesen
Autoren: Kristina Dunker
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zur Eile an.
    Mit langen Schritten hastete sie durch den Flur. Vorbei am kaputten Getränkeautomaten, den Sven und Levent auf dem Gewissen hatten, und die Treppe mit dem Gummigeländer, unter dem Kaugummis wie Seepocken auf Strandmuscheln klebten, hinauf. Am Nachmittag hatte sie bei der Wattwanderung Muscheln gesammelt, was Paul, der neben ihr hergeschlendert war, zu einer Bemerkung gereizt hatte: »Oh, wie niedlich, Lilly! Pflückst du demnächst auch Blümchen und ziehst Röcke an?«
    »Nö«, hatte sie trocken gekontert. »Ich dachte einfach nur, es wäre schön, was Hübsches neben der Badewanne liegen zu haben, falls ich mir demnächst mal die Pulsadern aufschneide.«
    Sie hatte gegrinst, aber gleich gemerkt, dass ihr Witz überhaupt nicht nach seinem Geschmack war. Auch das hätte sie sich vorher denken können. Sie kannte Paul lange genug, genau wie Tatjana.
    Er war erschrocken und beleidigt zugleich. »Wenn du so was sagst, mache ich mir gleich Sorgen um dich, und da habe ich eigentlich gar keine Lust drauf.«
    »Dann lass es doch.« Ihre Stimme war sofort barsch geworden.
    »Kann ich nicht.« Er hatte die Fäuste in die Taschen der hochgekrempelten Jeans gerammt und seine nackten Zehen mit Schmackes in den Schlick gedrückt – und wäre beim nächsten Schritt fast in eine Glasscherbe getreten, wenn sie ihn nicht zur Seite gedrängt hätte.
    »Pass auf deine Füße auf, du Idiot. Wenn sich hier jemand Sorgen machen muss, dann ich.«
    Das stimmte auch jetzt, am Abend, wieder. Paul war zwar nicht direkt in Gefahr, aber in einer Situation, die von einem auf den anderen Moment brenzlig werden konnte. Ein einziger blöder Satz, eine einzige falsche Bewegung reichte aus. So wie der Dompteur in der Raubtierarena auch nur ein Mal stolpern muss, um von den großen Katzen zerfleischt zu werden.
    Schwungvoll riss Lilly die Eingangstür auf. Ein Frühlingsabend voller Vogelgesang, aber nirgendwo Paul, der lebensferne Träumer, der Vögel so mochte. Als er ihr vor ein paar Wochen gestanden hatte, dass er sich eine CD zum Kennenlernen der unterschiedlichen Vogelstimmen gekauft hatte, hatte sie sich an ihrer eigenen Spucke verschluckt. »Dassolltest du aber keinem erzählen« war das Einzige, was ihr in diesem Moment dazu eingefallen war. Dabei war Paul viel klüger als sie. Er konnte seine Geheimnisse gut verbergen.
    Was jetzt? Die Clique war fort und Paul mit ihr. Wahrscheinlich hatte er sich nicht getraut zu sagen: »Wenn Lilly nicht dabei ist, bleib ich auch hier.« Die anderen waren eh misstrauisch, rätselten dauernd, warum Paul und Lilly so eng befreundet waren.
    Heute Morgen beim Frühstück hatte Sven, dieser Hornochse, vor versammelter Mannschaft gefragt: »Was hängt ihr immer zusammen, wenn ihr nicht miteinander bumst?«
    »Wir unterhalten uns vielleicht«, hatte sie sarkastisch geantwortet, »aber Reden ist dir ja fremd, du Flachdenker.«
    »Was hast du zu mir gesagt: Flachleger?« Er hatte gelacht und quer über den Tisch zu ihr rübergegriffen. »Ist das eine Aufforderung? Soll ich dich mal wieder ...«
    Lilly war ausgewichen, hatte dabei zwei Kaffeetassen umgekippt, das dröhnende Gelächter gehört und gedacht: Ich hasse euch alle.
    Alle außer Paul natürlich. Paul war bei Svens Spruch zusammengezuckt, als hätte er einen Schlag in den Nacken bekommen.
    Ein Windstoß mischte den Qualm der Raucher, die auf dem Hof vor der Jugendherberge standen, mit der Frühlingsluft. Zu Hause schimpften sich die Lehrer die Hälse heiser, wenn einer auf dem Schulhof oder in den Toiletten rauchte. Auch die Zehner, unter denen ja einige schon achtzehn waren, durften’s nicht, mussten ein gutes Vorbild für die Kleinen sein. Hier dagegen war alles erlaubt. Obwohl viele Frust wegen der Ausbildungsplatzsuche hatten, war das Klima in der Schule lockerer geworden, wohl deshalb,weil die gemeinsame Zeit bald zu Ende war und man sich nur noch ein paar Wochen gegenseitig ertragen musste.
    Klassenlehrerin Silke Hoffmann stand mitten zwischen den Schülern. Mit einer Weinflasche in der Hand strahlte sie in eine blitzende Handykamera, lachte und freute sich, dass sie mit den Schülern so gut zurechtkam. So gut, dass Levent ihr den Arm um die Schulter legte. Seine Fingerspitzen glitten runter bis zu dem Stück veilchenblauem BH, der unter ihrer zu engen Bluse hervorguckte. Dabei grinste er Lilly verschwörerisch an.
    Merkt die Hoffmann das nicht? fragte sich Lilly verärgert. Wie kann eine erwachsene Frau so was nicht merken? Und wieso
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