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Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)
Autoren: Jeannette Walls
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damit, Gitarre zu spielen, während ich im Garten arbeitete, die Lilien vom Unkraut befreite und über meine Schwester nachdachte. Liz hatte so viel durchgemacht, und dafür hatte sie einen Orden verdient, sagte ich mir.
    Ich legte die kleine Schaufel weg und ging hinauf in den Vogeltrakt, wo ich den Silver Star von meinem Dad aus der Zigarrenkiste in der Wiege nahm. Ich hatte ihn mir noch nie angesteckt. Ich fand, das Recht dazu musste man sich erst verdienen. Und das hatte Liz getan, nicht bloß, weil sie so viel durchgemacht hatte, sondern weil sie mich, ihre kleine Schwester, vor den Verrücktheiten ihrer exzentrischen Mutter beschützt hatte, bis ich alt genug war, selbst damit fertigzuwerden. Und auch Onkel Clarence hatte sich das Recht verdient, nicht bloß, weil er Maddox erschossen hatte, sondern weil er schon als Junge wie ein erwachsener Mann gearbeitet hatte, damit mein Dad ein Zuhause hatte. Und auch Tante Al, weil sie jede Nacht in der Weberei Staub schluckte und dann nach Hause ging, um für ihren kranken Mann und ihren kleinen Earl zu sorgen, der anders als andere Kinder war. Und auch Onkel Tinsley, weil er seine beiden eigenwilligen Nichten bei sich aufgenommen hatte, und auch Mom, weil sie nach Byler zurückgekommen war, obwohl sie die Stadt hasste, um für Liz da zu sein. Ich dagegen hatte mich bloß mit Lisa Saunders geprügelt und Miss Clay Widerworte gegeben.
    Ich ging mit dem Silver Star nach unten, wo Liz mit ihrer Gitarre auf der Klavierbank saß.
    »Der ist für dich«, sagte ich und hielt ihr den Orden hin. »Du hast ihn verdient.«
    Liz legte ihre Gitarre beiseite und nahm den Orden. Sie betrachtete ihn nachdenklich. »Ich kann ihn nicht annehmen«, sagte sie. »Er hat deinem Dad gehört.« Sie gab ihn mir zurück. »Aber ich werde nie vergessen, dass du ihn mir schenken wolltest.«
     
    Onkel Tinsley kam am frühen Nachmittag zurück. Wir folgten ihm ins Wohnzimmer, wo er sich in den Ohrensessel mit Brokatbezug setzte und seine Krawatte lockerte.
    Natürlich hatte ganz Byler von Maddox’ Tod gehört, erzählte er. Es war das einzige Gesprächsthema in der Stadt. Keiner konnte sich erklären, was Maddox hinter dem Haus der Wyatts gewollt hatte. Die Polizei hatte Doris befragt. Sie wusste es nicht, verlangte aber eine gründliche Untersuchung. Die Beamten hatten auch mit den Nachbarn der Wyatts gesprochen, aber die Leute auf dem Weberhügel hassten Maddox und hatten auch nicht viel für die Polizei übrig. Somit hatte keiner etwas gesehen oder gehört. Nur den Schuss, den hatten alle gehört.
    Es gab die wildesten Spekulationen. Maddox hatte bestimmt nichts Gutes im Schilde geführt. Die meisten vermuteten einen Zusammenhang mit dem Prozess. Warum war er in dem Garten herumgeschlichen? Hatte er die Familie beobachtet? Vielleicht hatte er einen Einbruch geplant. Aber wenn dem so war, wieso stand dann sein Wagen vor dem Haus? Immerhin, er hatte einen Revolver dabeigehabt. Auf jeden Fall war er widerrechtlich in den Garten eingedrungen, und ein Mann hatte das Recht, seine Familie und sein Eigentum zu schützen. Deshalb war Onkel Clarence nach seiner Vernehmung durch die Polizei nicht festgenommen worden. Seine Geschichte war simpel und einleuchtend. In der ganzen Gegend kam es häufig zu Jagdunfällen. In einem benachbarten County war ein Vogelbeobachter aus dem Norden am ersten Tag der Rotwildjagdsaison erschossen worden, obwohl er ein weißes Hemd trug.
    Und Maddox war selbst bei vielen Polizisten unbeliebt gewesen, ein Querulant, der massenweise Anzeigen erstattete und Klagen anstrengte, Mieter aus dem Haus jagte, die Männer in der Weberei schikanierte und sämtliche Frauen in der Stadt belästigte. Die Beamten wussten, dass außer Doris so ziemlich jeder in Byler froh war, Maddox los zu sein, und trotz einiger offener Fragen waren sie nur allzu gern bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
    »Unfälle passieren nun mal.« Onkel Tinsley hob beide Hände. »Hat gedacht, er wäre ein Bär.«
    Er saß eine Weile ruhig in dem Ohrensessel, bis er unvermittelt sagte: »Ich glaube, ich spiel ein bisschen Klavier.«
    Er öffnete die Verandatüren im Ballsaal und zog die grüne Samtabdeckung vom Flügel. Er klappte den Deckel auf, setzte sich auf die Bank, ließ die Hände über die Tasten gleiten und spielte ein paar Akkorde. Dann fing er an, irgendwas Klassisches zu spielen. Dafür, dass es ein klassisches Stück war, klang es ganz hübsch, selbst für jemanden, der so unmusikalisch war wie
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