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Die Amazonen von Vanga

Die Amazonen von Vanga

Titel: Die Amazonen von Vanga
Autoren: Hubert Haensel
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Erinnerung stockte in dem Augenblick, als Gorma sie fällte.
    »Kann ich mich befreien?«
    Gewann sie Macht über die Dinge, indem sie diese beim Namen nannte?
    Dem Mädchen war, als streife ein eisiger Hauch sein Gesicht. Unhörbarer Flügelschlag zog dicht an ihr vorüber. Sie ahnte die Bewegung mehr, als sie diese wirklich zu erkennen vermochte. Ihre Rechte huschte zur Hüfte. Aber da war kein Schwert, nicht einmal die lederne Scheide, die sie stets trug.
    Burra verharrte in angespannter Konzentration. Plötzlich vermeinte sie, Sosonas Worte wieder zu hören, die diese einst zu ihr gesprochen. Sieben Jahre lag es nun zurück, daß die Hexe, die Trägerin des zehnten Kristalls war, Burras kämpferische Veranlagung erkannt und ihrer Mutter nahegelegt hatte, sie in die Obhut der Amazonen zu geben.
    »Nichts zwischen Himmel und Erde ist unmöglich, auch wenn es oft den Anschein hat. Einzig des Menschen Wille besitzt die Fähigkeit, Dinge zu verändern, die in unvorstellbar langen Zeiträumen festgefügt wurden.«
    »Sosona…«, murmelte das Mädchen.
    Die Luft unmittelbar vor ihr begann zu flimmern, wallte auf in einem Reigen glühender Funken, die sich zusammenballten und die Umrisse eines menschlichen Körpers annahmen. War es Traum oder Wirklichkeit, daß die Hexe ausgerechnet jetzt Burra gegenübertrat? Sie schien zu schweben, eingehüllt in weit fallende Gewänder, die ihren von der Last des Alters gebeugten Körper vor allzu neugierigen Blicken verbargen. Niemand wußte, wie viele Winter Sosona wirklich gesehen hatte, und sie selbst schwieg sich aus. Doch die Falten ihres Gesichtes bewiesen, daß sie sehr alt sein mußte.
    »Du zweifelst an dir selbst«, begann die Hexe, »glaubst nicht mehr, daß du jemals die Fähigkeiten erwerben wirst, die einer Kriegerin unabdingbar sind.« Obwohl Sosona die Lippen nicht bewegte, war Burra überzeugt davon, ihre Stimme zu hören. Die Finsternis schien erfüllt von ihrem wohligen Klang.
    »Deine Wahl galt der Falschen«, erwiderte das Mädchen bedrückt. »Ich habe versagt.«
    »Du hast einen Kampf verloren«, nickte die Hexe. »Und wenn schon. Niemand kann nur siegen - er würde glauben, mit des Schicksals Mächten einen Bund geflochten zu haben und unvorsichtig werden.
    Wisse, Burra, daß nur diejenige ermessen kann, was es heißt, eine Schlacht zu verlieren, die wenigstens einmal in ihrem Leben geschlagen wurde. Allein sie wird die Fähigkeit entwickeln, über sich selbst hinauszuwachsen.«
    »Was rätst du mir?«
    Sosonas Erscheinung begann zu verblassen. Ihre Stimme kam wie aus weiter Ferne.
    »Du wirst den richtigen Weg beschreiten, der dich dem Ziel deiner Wünsche näherbringt. Vor dir liegt eine große Zukunft. Führe den Namen derer von Anakrom in Ehren, so mag er in aller Munde sein.«
    Das Mädchen wollte die Hexe zurückhalten, denn es gab vieles, worauf sie eine Antwort begehrte. Aber ihre Hände konnten Sosona nicht fassen, glitten durch einen leuchtenden Nebel hindurch, der sich langsam verflüchtigte. Sie starrte das runzlige Gesicht an, bis auch dieses sich schließlich auflöste.
    Burra erwachte wie aus tiefem Schlaf. Hatte sie geträumt? Sie wußte es nicht. Doch da hing ein fremdartiger Geruch in der Luft, den sie vorher nicht wahrgenommen, der verlockend war wie die unbeschreibliche Weite Vangas.
    In diesem Augenblick fühlte das Mädchen zum erstenmal den Reiz der Ferne. Das Blau des Ozeans, der sich mit schäumender Gischt an den Küsten ungezählter Inseln brach, die wie funkelnde Edelsteine von der Hand eines Riesen hingestreut waren, der blendende Schein der Sonne, die im Süden den Menschen die Tage erhellte - das waren Dinge, die sie nur vom Erzählen her kannte, deren Anblick sie vielleicht aber auch vergessen hatte. Burra fieberte der Zeit entgegen, da sie dies mit eigenen Augen sehen durfte.
    War es der Ruf des Schwertes, der sie in seinem Bann gefangen hielt? Begriffe wie Ferne und fremdes Land verhießen Kampf und Abenteuer, warteten mit tödlichen Gefahren, die ein zwölf Lenze zählendes Mädchen sich noch nicht vorzustellen vermochte.
    In jäher Erregung ballte Burra die Fäuste, bis ihre Nägel sich tief in das Fleisch der Handballen eingruben. Falls sie einst den Haarknoten tragen durfte, würde sie alle anderen übertreffen. Ihre erste Niederlage sollte gleichzeitig auch die einzige bleiben.
    »Ich, Burra von Anakrom«, rief sie laut, »werde aus allen Schlachten als Siegerin hervorgehen.«
     
     
    *
     
    Nach und nach bröckelte das
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