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Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)

Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)
Autoren: Gordon Dahlquist
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bemerkte Miss Temple, dass der Faden, den Marie benutzte, nicht ganz zum Stoff passte. Nachdem Marie zum dritten Mal versichert hatte, die Tür hinter sich abzuschließen und zu verriegeln, gestattete Miss Temple dem Mädchen zum Abendessen ein Glas Wein.
    Der Flur war leer, und auf dem Weg zur Küche begegnete sie keinem anderen Gast. Sie ignorierte die Blicke der Spüler und Lieferanten und ging zur Ecke, von wo aus sie auf die Straße blickte. Sie entdeckte keinen Spion und verließ mit gesenktem Kopf eilig das Hotel. An der Allee hielt Miss Temple eine Kutsche an. Der Fahrer sprang herunter, um ihr auf den Sitz zu helfen, und fragte sie nach ihrem Ziel.
    »Die Bibliothek.«
    Miss Temple war noch nie zuvor in der großen Bibliothek gewesen – sie war für sie nicht attraktiver als eine Fabrik zur Fassherstellung –, und in ihrer steifen Erhabenheit sah sie ein Monument für ein hochgeschraubtes Bemühen, das unablässig andere zu bezahlen hatten. Sie trat an einen breiten Holztresen, hinter dem wächserne, bebrillte Männer standen, deren dunkle Kittel mit grauen Staubflusen gesprenkelt waren.
    »Verzeihen Sie«, sagte Miss Temple. »Ich benötige eine Information.«
    Ein jüngerer Archivar trat zu ihr und ließ den Blick über ihr Kleid wandern. Der Tresen schloss direkt unter ihren Brüsten ab, was zu Miss Temples Verdruss so aussah, als hätte sie sich vorgebeugt.
    »Die da wäre, meine Dame?«
    »Ich suche nach einem Grundstück.«
    »Grundstück?« Der Archivar lächelte. »Da werden Sie einen Makler benötigen.«
    Auf seiner Oberlippe saß ein blasser Pickel. Miss Temple fragte sich, ob er ihn vor der nächsten Rasur ausdrücken oder ihn dem Rasierer überlassen würde.
    »Haben Sie Grundbücher?«
    »Wie vom Gesetz vorgeschrieben, archivieren wir alle möglichen Verzeichnisse.«
    »Auch von Grundstücken?«
    »Nun, es kommt darauf an, was Sie genau in Erfahrung bringen möchten …«
    »Die Eigentümerschaft. Eines Grundstücks.«
    Der Archivar streifte ihren Busen ein letztes Mal mit dem Blick und rümpfte misstrauisch die Nase.
    »Dritter Stock.«
    Der Bedienteste des dritten Stocks stand auf einer Leiter, als Miss Temple ihn fand, und sie stellte ihre Frage so laut, dass er rasch herabstieg, damit sie ihre Stimme senkte. Er brachte sie zu einem breiten Regalfach mit schwarzen ledergebundenen Bänden.
    »Hier, bitte. Die Grundbücher.« Sogleich wandte er sich zum Gehen.
    »Was tue ich damit?« Miss Temple wedelte verärgert in Richtung des Büchergestells. »Es müssen Hunderte sein.«
    Die Schädeldecke des Bediensteten war kahl, nur über den Ohren befand sich ein dichter schwarzer Haarkranz. Seine Finger zitterten – roch sie etwa Gin?
    »Es ist so, dass es eine Menge Grundeigentum gibt, Miss. In der Welt.«
    »Die Welt interessiert mich nicht.«
    Der Angestellte verkniff sich eine Antwort. »Jedes Mal, wenn ein Grundstück in andere Hände übergeht, erfolgt ein Eintrag. Sie sind nach Bezirken geordnet …« Er blickte sehnsüchtig über die Schulter zu der Leiter.
    »Warum sind sie nicht nach Eigentümern geordnet?«
    »Danach haben Sie nicht gefragt.«
    »Dann tue ich es jetzt.«
    »Diese Verzeichnisse sind nach Besteuerung und Erbfolge geordnet.«
    Sie hob eine Braue. Er ging voran zu einem weiteren Regal mit schwarzgebundenen Büchern.
    »Der Buchstabe P«, sagte sie, bevor er gehen konnte.
    »Der Buchstabe P umfasst fünf Bände.« Er zeigte auf das oberste Regal, hoch über ihnen.
    »Sie werden eine Leiter brauchen«, stellte Miss Temple fest.
    Es war der Doktor gewesen, der sie zum Nachdenken angespornt hatte. Zum letzten Mal hatte sie Svenson im Wald von Parchfeldt gesehen, mit Mr. Phelps, dem korrupten Attaché des Kronrats, als er dem Doktor die zerschnittene Uniformjacke ausgezogen und das Blut mit seinem eigenen Mantel zu stillen versucht hatte. Wie alle anderen im Ministerium hatte auch Phelps unter dem Einfluss von Mrs. Marchmoor gestanden, und ihre mentalen Plünderungen hatten seine körperliche und geistige Gesundheit zerrüttet. Schließlich war er durch Svensons selbstmörderisches Duell mit Captain Tackham befreit worden. Phelps war nicht ins Ministerium zurückgekehrt, obwohl er alle möglichen Geheimnisse kennen musste. Sie schlug den ersten der fünf Bände auf und musste wegen des Staubs niesen. Phelps könnte ihr auch von den letzten Minuten des Doktors berichten, als sie selbst geflohen war. Sie verbannte das Bild aus ihrem Kopf und leckte sich einen Finger. Die einzige
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