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Die Albertis: Roman (German Edition)

Die Albertis: Roman (German Edition)

Titel: Die Albertis: Roman (German Edition)
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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machen und aus zehn hundert. Jeden Job, der sich ihm anbot, ergriff er, handelte den Höchstlohn aus, ließ sich selbst die kleinsten Handreichungen im Haushalt bezahlen. Edward war eine seltsame Mischung aus Lebenskünstler und Finanzgenie. Er konnte faul sein wie kein Zweiter in der Familie, und dann wieder fleißiger als seine beiden Brüder zusammen. «Ich arbeite echt nur, wenn es was bringt», hatte er ihnen einmal erklärt, «und auch nur so lange, bis ich genug habe, um aufzuhören.» Er plante, das Maximale aus dem Leben herauszuholen, mit dem minimalsten Aufwand. Ob dieses Prinzip funktionieren würde: Seine Mutter hatte ihre Zweifel daran. «Aber alle sind doch heute so!», erzählte er ihr. «Dieses Schuften bis zum Umfallen und nichts davon haben, wie ihr das eingebläut gekriegt habt, von wegen ohne Fleiß kein Preis und so: ist völlige Scheiße. Ich will doch nicht so ein sinnentleertes Leben führen wie du und Papa!»
    Einmal hatte sein Großvater ihn um Rat gefragt, wie er zehntausend Mark anlegen solle. Innerhalb eines halben Jahres hatte sich die Summe verdoppelt. Edward kassierte fünf Prozent davon. Sein Großvater war entzückt. Anne schämte sich dafür. Wie konnte ein Kind, ihr Sohn, ausgerechnet!, so materialistisch sein? Hatten sie und Wolf ihren Söhnen nicht beigebracht, dass andere Werte im Leben zählten? Vertrauen, Freundschaft, Liebe, Zivilcourage: Edward lachte darüber. «So 'n Quatsch, Mama! Guck euch mal an, du machst dich von morgens bis abends im Haushalt kaputt und verdienst keinen Cent, und Papa ackert wie ein Kuli mit seinen Kinderbüchern und immer quakt ihr rum, dass ihr kein Geld habt. In meiner Klasse gibt es keine Familie die kein Haus hat. Oder wenigstens eine Eigentumswohnung. Ihr rafft das nicht. Aus euch wird nichts. Das ist eindeutig.»
    Schön, wenn die Kinder eine so hohe Meinung von den Eltern hatten. Wolf konnte sich darüber amüsieren. Sie nicht. Sie fühlte sich nach solchen Gesprächen ausgelaugt. Fast vierzig Jahre auf dem Buckel, ein Leben lang für die Familie da gewesen sein und am Ende Resignation?
    «Aus euch wird nichts!» Das hatte ihr entzückender Vater vor langer Zeit auch schon mal gesagt. Neunzehn Jahre war sie damals. Die Erziehung ihrer Eltern war darauf ausgerichtet gewesen, dass aus ihr und ihrer Schwester «mal was Anständiges wird». Sport hatte sie studieren wollen, von einem Leben in Unabhängigkeit hatte sie geträumt und von einem Porsche. Dann hatte sie Wolf kennen gelernt, auf einem Kostümfest für Studenten. Lilale im Curiohaus in Hamburg. Noch in der selben Nacht hatten sie zusammen geschlafen. In Wolfs Auto. Heute dachte sie oft: wie unbequem muss das gewesen sein, wie würdelos. In ihrer Erinnerung aber war es lustvoll, berauschend, ohne jedes Schuldgefühl, voller Drang nach Liebe und Angenommensein. Zu beider Überraschung war sie sofort schwanger geworden. Wochen brauchte sie, bis sie sich traute, ihrer Mutter die Wahrheit zu sagen, bei einer Tasse Kaffee in einer Bremer Konditorei. Und ihre Mutter, die Praktische, war sofort mit ihr losgezogen, ins Kaufhaus, hatte Babywäsche ausgesucht und einen Kinderwagen. «Nun hast du ja deinen Porsche!», sagte ihr Vater nur kühl, nachdem er von der Schwangerschaft erfuhr und sie mit dem Kinderwagen nach Hause kam. Kurz vor Edwards Geburt hatten sie geheiratet, «mit Rückenwind». Auch so ein Ausspruch ihrer Mutter. Anne und Wolf hatten eine Doppelhochzeit gefeiert, gemeinsam mit Wolfs bestem Freund Paul Ross, der damals schon zwei Jahre mit seiner Freundin Sybille verlobt war. «Das ist 'n anständiger Kerl!», hatte ihr Vater immer befunden. Ohnehin war er mit ihrer Wahl nie einverstanden gewesen. «Was soll der sein, dein Wolf? Ein Künstler? Na, denn mal gute Nacht! Ich komme nicht auf für euch, ich hoffe, das wisst ihr, beim Bumsen habt ihr mich auch nicht gefragt.» Seine Schonungslosigkeit und sein Direktheit und seinen Egoismus hatte Edward offenbar vom Großvater geerbt. Manche Gene schienen eine Generation zu überspringen.
    Wolf sah von seinem Zeichenblock auf. Aus seinem Blick sprach so viel Liebe, dass sie ihm nicht standhalten konnte. Sie senkte die Augen.
    «Wieder beruhigt?», fragte er.
    Sie nickte.
    «Papa hat gesagt, du bist ausgeflippt!», krähte Luis.
    «Können wir los?», fragte Anne und sah auf ihre Armbanduhr. «Es ist gleich zwei. Wir kommen wieder mal zu spät. Was ist mit den anderen?»
    Luis sprang von seinem Stuhl: «Edward liegt noch im Bett!»,
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