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Die Albertis: Roman (German Edition)

Die Albertis: Roman (German Edition)

Titel: Die Albertis: Roman (German Edition)
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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lehnte gegen die Spüle und dachte über die ganze Geschichte nach, die Ebba ihr am Tag darauf erzählt hatte. Die Zigarettenasche fiel herunter. Als Anne den Wasserhahn aufdrehte und den glimmenden Stummel unter den Strahl hielt, hörte sie die Stimme von ihrem Mann: «Wieso rauchst du?», fragte er.
    Sie warf die Kippe in den Mülleimer und sah Wolf an. Da stand er, frisch geduscht und rasiert und gecremt und parfümiert barfuß und mit einem Frotteehandtuch um die Hüften geschlungen, ein Mann von fast vierzig Jahren, einsneunzig groß, kräftig, behaart und trotz seines Bauches noch immer ein attraktiver Mann, und starrte erst seine Frau an und dann auf die Scherben.
    «Was ist hier los? Was soll der Scheiß?»
    «Sonst noch Fragen?» Sie ging auf ihn zu. «Ich habe aufgeräumt.»
    «Aufgeräumt?» Immer wenn er sein System bedroht sah, nahm seine Stimme eine fremde Färbung an, sie wurde härter und leiser. Gefährlich leise. «Bist du verrückt?»
    Anne wurde laut. «Wolf, ich möchte dich bitten, mich nicht ständig zu kritisieren! Ich habe sehr anstrengende Tage hinter mir.» Sie stand jetzt direkt vor ihm. «Es war kein großes Vergnügen, diese zwei Tage bei meinen Eltern, das kannst du mir glauben.»
    «Wieso soll ich das jetzt ausbaden? Du wolltest sie besuchen, du ...»
    Sie ließ ihn nicht ausreden. «Und es war vor allen Dingen kein Vergnügen, dann nach Hause zu kommen, in der Hoffnung, ein bisschen aufgefangen zu werden, ein wenig umsorgt zu werden ... und stattdessen wieder nur: angemacht wird ...»
    Anne versuchte ihn nachzumachen, ging auf und ab, während sie redete, trat auf eine Scherbe, kickte sie zur Seite. «Weshalb hast du nicht gekocht und nicht eingekauft, Annette! Warum hat Pavel kein Abi und macht eine so lächerliche Ausbildung zum Kfz-Mechaniker? Warum studiert Edward noch nicht? Wieso saut Luis alles voll mit Honig und Nutella? Wo sind meine GAP -Hemden?» Sie machte eine Pause. «Dieser ganze Mist! Ja? Du kannst dich auch mal um was kümmern, Wolf. Du kannst dich auch mal zuständig fühlen für ... deine ... deine Söhne.» Sie schob ihn beiseite und ging zur Tür. «Oder für mich!»
    «Verstehe nicht, warum hast du eigentlich immer Probleme mit allen Leuten?»
    «Mit allen Leuten?»
    «Mit deinen Eltern. Mit deinen Kindern. Mit mir.» Er gab selbst die Antwort. Ganz ruhig. Ganz bestimmt. Ganz leise. «Ich will dir sagen warum: weil du Probleme mit dir hast!»
    «Jetzt geht das wieder los! Du hast ja an nichts Schuld. Immer bin ich es. Es sind immer die anderen bei Herrn Wolf Alberti. Nichts Neues. Nichts Neues!» Sie verließ die Küche, er hörte sie im Flur weiter schimpfen, mit ironischem Unterton. «Keine Blümchen für Sybillchen! Paulebär nicht angerufen, wann wir zum Käffchen kommen. Eine Schlampe deine Frau!» Den letzten Satz schrie sie: «Sybille und Paul sind deine Freunde, Wolf! Nicht meine!» Mit diesen Worten knallte sie die Tür zum Schlafzimmer hinter sich zu. Wolf sah sich genervt um, kniete sich hin und begann, die Scherben aufzusammeln. Dabei schnitt er sich in den Daumen. Er fluchte. Der Sonntag war gelaufen.
    Als Anne wieder aus dem Schlafzimmer kam, war keine halbe Stunde vergangen, aber die Welt schien sich geändert zu haben. Sie hatte sich geschminkt und umgezogen, trug einen Leinenanzug und Tennisschuhe und hatte ihr Lieblingsparfüm aufgelegt. In der Küche waren alle Spuren der Wut beseitigt. Wolf hatte geputzt und aufgeräumt. Unordnung bedrohte ihn, er konnte sie nicht ertragen. Im Laufe ihrer Ehe hatte er ein geheimes System entwickelt, das wiederum Anne Angst machte. Egal wie viel er zu tun hatte, sein Schreibtisch sah stets wie unbenutzt aus. Lediglich sein Zeichenblock lag darauf. Und zwar genau in der Mitte. Daneben, nicht achtlos liegen gelassen, sondern kerzengerade an der rechten Kante des Papiers, der Bleistift, mit dem er arbeitete. Er war immer angespitzt. In einem Becher aus nachtblauem, böhmischem Kristallglas, das Annes Mutter ihm zum Geburtstag geschenkt hatte, befanden sich die anderen Stifte, alle mit der Spitze nach oben. Offenbar graute Wolf davor, dass der Boden des Bechers mit Bleikrümeln oder Buntstiftresten verunreinigt sein könnte. Niemand durfte seine Sachen berühren, Dinge verschieben, Möbel, wie etwa seinen schwedischen Gesundheitsstuhl, verrücken, sich in seinem Arbeitszimmer ausbreiten. Selbst die Putzfrauen (und die Familie Alberti hatte eine Unzahl von ihnen verschlissen) wussten, dass über der Eingangstür zu
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