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Die Albertis: Roman (German Edition)

Die Albertis: Roman (German Edition)

Titel: Die Albertis: Roman (German Edition)
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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gewollt?«
    »In einem Heim steht nicht ständig eine dusslige Tante hinter dir und passt auf.«
    »Du hast wohl zu viele Internats-Romane gelesen. In einem Heim gibt es Lehrer und Erzieherinnen, und du teilst dein Zimmer mit ein paar anderen. Kein sehr angenehmer Gedanke, wenn du mich fragst.«
    »Und ich könnte meine Hamster nicht mitnehmen.«
    »Nein. Die könntest du getrost vorher abmurksen. Die will in so einem Saftladen wirklich kein Aas haben. Gehen wir?«
    Oliver nahm Claudias Hand und streckte Steffi die Zunge heraus. Ehe er seine Hamster abmurkste und in ein Heim ging, murkste er lieber seine sommersprossige Schwester ab.
    Judith führte inzwischen zwei äußerst aufschlussreiche Unterredungen. Nachdem sie Oliver bereits vor Tagen in der nahegelegenen Grundschule angemeldet hatte, sprach sie nun mit dem Rektor des Gymnasiums, das Claudia und Steffi besuchen sollten. Der Rektor war ein breiter, jovialer Mann, er trug den Hemdkragen offen und bedauerte es sehr, an diesem sonnigen Ferientag im Sekretariat der Schule sitzen und diese etwas sonderbare Mutter beraten zu müssen.
    Ja, in dieser Ausnahmesituation könne man die beiden Mädchen durchaus noch unterbringen. Mit welchen Sprachen denn begonnen worden sei? Mit Latein oder Englisch? Sie wisse es nicht? Nun, dies sei aber sehr, sehr wichtig. Man bitte noch um Benachrichtigung.
    Das zweite Gespräch fand in der vornehmen Augusten-Bücherei statt. Eine junge, stark geschminkte Verkäuferin blickte etwas ungeduldig an Judith vorbei.
    »Nein, ich verstehe eigentlich nicht, was Sie wünschen, gnädige Frau.«
    »Ich möchte gerne ein Buch über Erziehung kaufen. Mit sehr praktischen Ratschlägen …«
    »Welches Alter?«
    »Ich bin vierzig.«
    »Welches Alter haben die Kinder?« Die Verkäuferin verzog den Mund.
    »Siebzehn, dreizehn und acht«, antwortete Judith hastig.
    »Was wollen Sie da noch erziehen?«
    »Tja … ich habe so gar keine Ahnung in Erziehungsfragen.«
    »Wie haben Sie es denn bisher gemacht?«
    Judith wurde rot. »Bisher hatte ich keine Kinder, verstehen Sie? Ich wurde Mutter über Nacht, sozusagen.«
    »Mutter wird man meistens über Nacht«, meinte die Verkäuferin und schielte nach einem Kollegen, der beifällig lächelte.
    »Sehen Sie«, erklärte Judith geduldig. »Ich wurde Pflegemutter. Ganz plötzlich. Und nun weiß ich nicht einmal, ob man heute noch Pausenbrote mitgibt, was eine Siebzehnjährige alles darf und was nicht, ob der Junge in einen Sportverein soll …« Sie zuckte hilflos die Achseln.
    »Die Siebzehnjährige darf so ziemlich alles, wenn Sie mich fragen. Empfehlen Sie ihr auf jeden Fall einen guten Gynäkologen, damit die Pille immer im Haus ist. Pausenbrote streicht man dann, wenn man kein Geld mitgibt. Ich find’s zwar reichlich antiquiert, aber bitte. Und ob der Junge in einen Sportverein soll … mein Gott, wenn er will …«
    »Nein, ich glaube eigentlich nicht, dass er will.«
    »Dann lassen Sie’s.«
    »Andererseits …«
    »Sonst noch etwas?«
    »Sie führen wirklich keine Fachliteratur?«
    »Ich habe Fachliteratur. Aber eine andere Richtung. ›Die Lustbefriedigung des Säuglings beim Stillen‹, beispielsweise. Aber stillen werden Sie wohl nicht mehr. Oder: ›Analphabetismus an unseren Schülen‹. Wird viel gekauft. Oder etwas über den Urschrei. Oder …«
    »Danke«, sagte Judith spitz. »Analphabeten sind sie nicht, auch wenn ich gewisse Verkäuferinnen wohl dazu verleite, es anzunehmen. Und bewussten Urschrei stoße ich gleich aus, weil gewisse Verkäuferinnen mich dazu verleiten.«
    Am Abend wanderte sie zum Wäldchen. Claudia und Steffi hatten sich auf ihre Zimmer zurückgezogen, Oliver lag, als sie Schlüssel und Jacke nahm, auf der Couch und las.
    ›Zum Nonnenhölzl‹ stand auf einer morschen, verwitterten Tafel, und Judith lächelte. Ob es stimmte, dass sich hier vor vielen, vielen Jahren eine kleine unglückliche Nonne, verliebt in den stolzen Fürsten, das Leben nahm, um fürderhin, wenn Herbstwind und Regen durch die Blätter peitschten, lebhaft zu spuken und die Leute zu erschrecken? Nun, heute peitschten weder Wind noch Regen. Heute zirpten die Grillen, und die kleine Nonne konnte beruhigt schlafen.
    Judith setzte sich auf eine Bank. Wie vertraut ihr alles war! Hier hatte sie bereits als Kind gespielt, hier hatte Benedikt, ein Junge aus der Nachbarschaft, sie zum ersten Mal geküsst, hierher war sie gelaufen, als Thomas nach Australien ging und sie nicht aufforderte mitzukommen. Und hierher
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