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Die Akte

Titel: Die Akte
Autoren: John Grisham
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rechnen, die vom Atlantik hereindrifteten und genau um diese Zeit diese alte Mole ansteuerten? Albern, aber ach so wichtig.
    »Luke?« kam die Stimme von dem Boot.
    »Sam«, entgegnete der Farmer. Der Name war Khamel, nicht Sam, aber Sam würde es während der nächsten fünf Minuten tun, bis Khamel sein Boot festgemacht hatte.
    Khamel antwortete nicht, das wurde nicht verlangt, sondern startete schnell den Motor und steuerte das Boot an der Mole entlang auf den Strand zu. Luke folgte ihm oben. Sie trafen sich am Pickup, ohne Händeschütteln. Khamel deponierte seine schwarze Adidas-Sporttasche zwischen ihnen auf dem Sitz, und der Pickup steuerte die Küstenstraße an.
    Luke fuhr und Khamel rauchte, und beide leisteten ganze Arbeit darin, einander zu ignorieren. Ihre Augen wagten nicht, sich zu begegnen. Mit dem dichten Bart, der dunklen Brille und dem schwarzen Rollkragen war Khamels Gesicht unmöglich zu identifizieren. Luke wollte es nicht sehen. Er sollte diesen Fremden nicht nur von der See her in Empfang nehmen; zu seinem Auftrag gehörte auch, dass er ihn nicht anschauen durfte. Und das war nicht schwierig. Das Gesicht wurde in neun Ländern gesucht.
    Als sie über die Brücke bei Manteo fuhren, zündete Luke sich eine weitere Lucky Strike an und kam zu dem Schluss, dass sie sich schon einmal begegnet waren. Es war eine kurze, aber zeitlich genau abgestimmte Begegnung auf dem Flughafen in Rom gewesen, vor fünf oder sechs Jahren, wenn er sich recht erinnerte. Es hatte keinerlei Vorstellung gegeben. Die Begegnung hatte in einer Toilette stattgefunden. Luke, damals ein makellos gekleideter amerikanischer Manager, hatte einen Aktenkoffer neben dem Waschbecken, über dem er sich langsam die Hände wusch, an die Wand gestellt, und plötzlich war er verschwunden gewesen. Er hatte im Spiegel einen flüchtigen Blick auf den Mann werfen können - diesen Khamel, dessen war er sich jetzt sicher. Eine halbe Stunde später war der Aktenkoffer zwischen den Beinen des britischen Botschafters in Nigeria explodiert.
    Nach allem, was Luke in seiner unsichtbaren Bruderschaft an vorsichtigem Geflüster gehört hatte, war Khamel ein Mann mit vielen Namen und Gesichtern und Sprachen, ein Mörder, der schnell zuschlug und keine Spuren hinterließ, ein sehr wählerischer Killer, der in der Welt herumstreifte, aber nie gestellt werden konnte. Während sie in der Dunkelheit nach Norden fuhren, ließ sich Luke tief in seinen Sitz sinken, wobei die Hutkrempe fast seine Nase berührte und die Hände locker auf dem Lenkrad lagen, und versuchte, sich an die Geschichten zu erinnern, die er über seinen Passagier gehört hatte. Erstaunliche Untaten. Da war der britische Botschafter. Der Hinterhalt, dem 1990 siebzehn israelische Soldaten in der West Bank zum Opfer fielen, war Khamel zugeschrieben worden. Er war der einzige Verdächtige bei der Ermordung eines reichen deutschen Bankiers und seiner Familie mit einer Autobombe 1985. Angeblich sollte er dafür ein Honorar von drei Millionen kassiert haben, bar auf die Hand. Die meisten Geheimdienst-Experten waren überzeugt, dass er 1981 hinter dem Versuch der Ermordung des Papstes gesteckt hatte. Aber schließlich wurde Khamel für alle una ufgeklärten terroristischen Angriffe und Morde verantwortlich gemacht. Es war leicht, ihn dafür verantwortlich zu machen, weil niemand sicher war, ob es ihn überhaupt gab.
    Das faszinierte Luke. Khamel war im Begriff, auf amerikanischem Boden zu operieren. Luke wusste nicht, wer die vorgesehenen Opfer waren, aber es mussten wichtige Leute sein.
    Bei Tagesanbruch hielt der Pickup an der Ecke von Thirtyfirst und M Street im Washingtoner Stadtteil Georgetown. Khamel ergriff seine Sporttasche und stieg wortlos aus. Er wanderte ein paar Blocks nach Osten bis zum Four Seasons Hotel, kaufte im Foyer eine Post und fuhr dann mit dem Fahrstuhl in den siebten Stock. Genau um viertel nach sieben klopfte er an eine Tür am Ende des Flurs. »Ja?« fragte eine nervöse Stimme von drinnen.
    »Ich suche Mr. Sneller«, sagte Khamel langsam in völlig akzentfreiem Amerikanisch und drückte dabei seinen Daumen auf den Spion in der Tür.
    »Mr. Sneller?«
    »Ja. Edwin F. Sneller.«
    Der Türknauf klickte nicht und wurde auch nicht gedreht, und die Tür ging nicht auf. Ein paar Sekunden vergingen, dann wurde ein weißer Briefumschlag unter der Tür durchgeschoben. Khamel hob ihn auf. »Okay«, sagte er, gerade so laut, dass Sneller oder wer immer sonst da drinnen war, es hören
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