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Die Akte

Titel: Die Akte
Autoren: John Grisham
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Universität. Darby war anders gewesen. Zum ersten Mal war sie ihm im zweiten Semester ihres ersten Jahres in der Bibliothek aufgefallen, und es hatte einen Monat gedauert, bis sie mit ihm essen gegangen war.
    »Wer hat die Mehrheitsentscheidung geschrieben?«
    »Runyan.«
    »Und Sie stimmen mit ihm überein?«
    »Ja. Der Fall liegt im Grunde sehr einfach.«
    »Was also ist in Rosenberg vorgegangen?«
    »Ich glaube, er hasst die anderen Richter.«
    »Und widerspricht deshalb nur, um ihnen eins auszuwischen?«
    »Jedenfalls oft. Es wird immer schwieriger, seine Urteile zu verteidigen. Nehmen wir Nash. Für einen Liberalen wie Rosenberg ist die Frage der Kontrolle des Waffenbesitzes leicht zu beantworten. Er hätte die Mehrheitsentscheidung schreiben sollen, und vor zehn Jahren hätte er es auch getan. Bei Fordice gegen Oregon, einem Fall aus dem Jahr 1977, hat er den Zweiten Verfassungszusatz wesentlich enger ausgelegt. Seine Inkonsequenz ist beinahe peinlich.«
    Callahan hatte Fordice vergessen. »Wollen Sie damit sagen, dass Rosenberg senil ist?«
    Wie ein schwer angeschlagener Boxer ging Sallinger in die letzte Runde. »Er ist total übergeschnappt, und das wissen Sie. Sie können seine Urteile nicht verteidigen.«
    »Nicht immer, Mr. Sallinger, aber zumindest ist er noch da.«
    »Sein Körper ist da, aber sein Gehirn ist tot.«
    »Er atmet noch, Mr. Sallinger.«
    »Ja, mit Hilfe einer Maschine. Sie müssen ihm Sauerstoff in die Nase pumpen.«
    »Aber es hilft, Mr. Sallinger. Er ist der letzte unter den großen Richterpersönlichkeiten, und er atmet noch.«
    »Sie sollten anrufen und sich vergewissern«, sagte Sallinger, dann hielt er den Mund. Er hatte genug gesagt. Nein, er hatte zuviel gesagt. Als der Professor ihn anfunkelte, senkte er den Kopf, richtete die Augen auf seinen Block und fing an, sich zu fragen, warum er all das gesagt hatte.
    Callahan durchbohrte ihn mit Blicken, dann begann er, wieder herumzuwandern. Es war in der Tat ein schlimmer Kater.
3
    E r sah jedenfalls aus wie ein alter Farmer, mit Strohhut, sauberer Latzhose, ordentlich gebügeltem Khaki-Arbeitshemd, Stiefeln. Er kaute Tabak und spuckte in das schwarze Wasser unter der Mole. Er kaute wie ein Farmer. Sein Pickup, obwohl ein neueres Modell, war hinreichend verwittert und sah nach staubigen Straßen aus. Nummernschilder von North Carolina. Er stand, hundert Meter entfernt, im Sand am anderen Ende der Mole.
    Es war Mitternacht an einem Montag, dem ersten Montag im Oktober, und die nächste halbe Stunde musste er in der dunklen Kühle an der menschenleeren Mole warten, nachdenklich kauend auf das Geländer gestützt, und dabei intensiv aufs Meer hinausschauen. Er war allein, und er hatte gewusst, dass es so sein würde. Es war so geplant. Um diese Zeit war die Mole immer menschenleer. Hin und wieder flackerten die Scheinwerfer eines Wagens an der Küste entlang, aber um diese Zeit hielten die Scheinwerfer nie an.
    Er beobachtete die roten und blauen Fahrrinnenlichter weit draußen. Er sah auf die Uhr, ohne den Kopf zu bewegen. Die dichten Wolken hingen tief, und es würde schwierig sein, es zu sehen, bevor es die Mole fast erreicht hatte. Aber so war es geplant.
    Der Pickup kam nicht aus North Carolina, und der Fahrer auch nicht. Die Nummernschilder waren von einem alten Laster auf einem Schrottplatz in der Nähe von Durham abmontiert worden. Der Pickup war in Baton Rouge gestohlen. Der Farmer war aus dem Nichts gekommen und hatte keinen der Diebstähle begangen. Er war ein Profi, und deshalb erledigte jemand anders die schmutzige Kleinarbeit.
    Nachdem er zwanzig Minuten gewartet hatte, trieb ein dunkler Gegenstand auf die Mole zu. Ein leiser, gedämpfter Motor brummte und wurde lauter. Der Gegenstand wurde zu einem kleinen Fahrzeug, in dem ein geduckter Schatten den Motor bediente. Der Farmer verriet sich auch nicht mit der geringsten Bewegung. Das Brummen brach ab, und das schwarze Schlauchboot blieb zehn Meter von der Mole entfernt in dem ruhigen Wasser liegen. Auf der Küstenstraße waren keine Scheinwerfer zu sehen.
    Der Farmer steckte eine Zigarette zwischen die Lippen, zündete sie an, paffte zweimal und warf sie dann in Richtung Schlauchboot ins Wasser.
    »Welche Marke?« fragte der Schatten vom Wasser herauf. Er konnte den Umriss des Farmers am Geländer sehen, aber nicht sein Gesicht.
    »Lucky Strike«, antwortete der Farmer. Diese Kennworte waren wirklich albern. Mit wie vielen anderen schwarzen Schlauchbooten war schon zu
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