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Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Titel: Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Autoren: Volker Kutscher
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geklingelt und in Schöneberg abholen müssen. Dann saß noch der Fahrer mit im Wagen, sonst hatte Gräf um diese Uhrzeit, in der Grauzone zwischen Mitternacht und Morgen, niemanden erreicht, nicht einmal einen Kommissar. Obwohl Gereon Rath Rufbereitschaft hatte, war er nicht ans Telefon zu bekommen. Nach vier vergeblichen Versuchen hatte Gräf aufgegeben und war mit Lange ins Mordauto gestiegen, um die Stenotypistin einzusammeln und endlich zum Tatort zu fahren. Die ganze Fahrt über hatten sie sich angeschwiegen, bis Lange das Schweigen mit seiner überflüssigen Bemerkung unterbrochen hatte.
    Natürlich war das hier Haus Vaterland. Die Köthener Straße führte sie an der dunklen Rückseite entlang, vorbei an einer endlose Reihe hoher Rundbögen, notdürftig beleuchtet vom Gaslicht der Straßenlaternen. Einst hatte hier die Ufa residiert, aber dann hatte Kempinski den riesigen Komplex für viel Geld von Grund auf umbauen lassen zu Berlins größtem Vergnügungstempel. Und nun vereinte Haus Vaterland all die Vergnügen unter einem Dach, die der durchschnittliche Tourist aus der Provinz von einem gelungenen Abend in der Weltstadt Berlin erwartete: essen, tanzen, saufen und spärlich bekleidete Revuegirls.
    Im grellen elektrischen Licht, das aus einem offenen Tor ganz am Ende des Gebäudes fiel, glitzerten die Regenfäden. Der Lieferanteneingang lag so weit von der viel befahrenen Stresemannstraße entfernt wie eben möglich. Zwei Autos standen am Straßenrand, ein heller Lieferwagen mit offener Hecktür und ein dunkelroter Horch. Der Fahrer des Mordautos parkte direkt dahinter, stieg aus und öffnete Gräf die Wagentür.
    »Lassense man gut sein, Schröder, ich bin ja nicht der Polizeipräsident.«
    »Jawohl, Herr Kriminalsekretär.«
    Mathée Luisenbrand, der schmeckt. So stand es auf der Seitenwand des Lieferwagens, der direkt vor dem Eingang parkte, und in kleineren Buchstaben darunter: Herbert Lamkau, Spirituosen . Der Regen wurde immer heftiger, Gräf zog den Hut tiefer.
    »Vergiss den Fotoapparat nicht«, blaffte er Lange an, der bereits Anstalten machte, ins Trockene zu kommen. Es hatte ruppiger geklungen, als Gräf beabsichtigt hatte, er wollte nur unmissverständlich klarmachen, wer hier die Ermittlungen leitete, solange der diensthabende Kommissar durch Abwesenheit glänzte. Lange sollte sich bloß nichts einbilden: Kommissaranwärter war kein Dienstgrad, der Mann war nach wie vor Kriminalassistent, und ob er die Prüfung zum Kriminalkommissar schaffen würde, musste sich erst zeigen. So lange jedenfalls hatte Reinhold Gräf den höheren Dienstgrad.
    Der Kriminalassistent gehorchte ohne Murren und ging zum Kofferraum des Mordautos, ruckelte einmal daran, ruckelte ein zweites Mal, diesmal heftiger, doch nichts passierte. Gräf kannte das, bei Nässe klemmte die Klappe meistens. Es gab da einen Trick, den hätte sich der Kriminalassistent wohl besser mal zeigen lassen in all den Monaten, die er nun schon am Alex war.
    Der Kriminalsekretär umkurvte die Pfützen und ging zum hell erleuchteten Lieferanteneingang hinüber, in dem ein Schupo Wache stand. Der Regen hatte sich in Gräfs Hutkrempe gesammelt und ergoss sich auf den Betonboden, als er den Kopf neigte, um seinen Dienstausweis aus der Westentasche zu fummeln. Der Schupo trat einen Schritt beiseite, um das Wasser nicht auf die Stiefel zu bekommen.
    »Melde gehorsamst: Polizeioberwachtmeister Reuter vom sechzehnten Revier, Voßstraße. Uns wurde gegen vier Uhr zweiunddreißig telefonisch ein Leichenfund gemeldet. Haben die Lage in Augenschein genommen und dann unverzüglich die Mordbereitschaft informiert.«
    »Schon irgendwelche Erkenntnisse?«
    »Keine, Herr Kommissar, nur dass …«
    »Kriminalsekretär«, sagte Gräf. »Kommissar ist noch unterwegs.«
    »Melde gehorsamst: keine Erkenntnisse, Herr Kriminalsekretär. Außer dass der Mann tot ist.«
    Gräf nickte. »Wo liegt sie denn, unsere Leiche?«
    Der Tschako zuckte zur Betondecke. »Oben.«
    »Auf dem Dach?«
    »Im Lastenaufzug. Vierte Etage. Oder dritte. Ist stecken geblieben.«
    Gräf schaute sich um. Links waren zwei schmucklose metallene Aufzugtüren zu sehen. Rechts führte eine Betontreppe nach oben.
    »Wir haben niemanden mehr mit den Aufzügen hier fahren lassen«, sagte der Schupo, »wegen der Spurensicherung.«
    »Sehr gut«, lobte Gräf. Derartige Umsicht war bei Schutzpolizisten nicht selbstverständlich, obwohl Gennat nicht müde wurde, auch den Blauen immer wieder die Grundlagen
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