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Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Titel: Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Autoren: Volker Kutscher
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moderner Polizeiarbeit zu predigen. »Gab’s irgendwelche Probleme deswegen?«
    »Nur mit dem Gerichtsmediziner. Der hat geflucht, als er die Treppe hochsteigen musste.«
    »Gibt’s denn keine Personenaufzüge?«
    »Jede Menge. Aber nicht hier hinten. Weiter vorne im Gebäude, in der Mittelhalle.«
    Gräf seufzte und nickte der Stenotypistin zu, die inzwischen auch angekommen war und ihren Regenschirm ausschüttelte. »Wir müssen Treppen steigen, Fräulein Temme«, sagte er und öffnete die Tür. Er sah noch, dass Lange den Kofferraum endlich aufbekommen hatte, bevor er mit der Stenotypistin zur vierten Etage hinaufstiefelte. Eine Handvoll Männer blickte sie an, als sie oben aus dem Treppenhaus traten. Neben dem Schupo, der hier Wache schob, stand ein Wachmann der Berliner Wach- und Schließgesellschaft, daneben ein Mann, der unschwer als Koch zu erkennen war, dann einer im Blaumann und schließlich ein elegant gekleideter drahtiger Herr, dessen sandfarbener Sommeranzug dunkle Regenflecken aufwies. Mit wenigen Blicken verschaffte sich Gräf einen Überblick: hinter ihm die Tür zum Treppenhaus, in der Wand links von ihm zwei Fenster, in der Wand gegenüber die beiden Aufzugtüren. Die linke Doppeltür war geöffnet und gab den Blick in den düsteren Schacht frei und auf ein dickes Drahtseil, an dem die stecken gebliebene Aufzugkabine hing, von der nur die oberen zwei Drittel zu sehen waren. Das Licht in der Kabine brannte noch und beleuchtete einen großen Stapel sperrhölzerner Schnapskisten, die auf einem Gitterwagen standen. Mathée Luisenbrand war in schnörkeligen Buchstaben auf das Holz gebrannt.
    Der schmeckt , dachte Gräf und zückte seinen Dienstausweis.
    »Was ist denn passiert?«, fragte er in die Runde.
    Bevor der Schupo etwas sagen konnte oder sonst jemand, hatte sich der Anzugmann, dessen struppiges Haar davon kündete, dass man ihn aus dem Bett geholt hatte, schon in Bewegung gesetzt.
    »Ich kann es mir nicht erklären, Herr Kommissar, es ist alles …«
    »Kriminalsekretär«, verbesserte Gräf. »Kommissar kommt gleich.«
    »Fleischer, Direktor Richard Fleischer«, sagte der Anzugmann und streckte seine Hand aus. »Ich leite Haus Vaterland .«
    »Soso.«
    »Ich hoffe, wir können diese unerfreuliche Angelegenheit diskret behandeln, Herr Kriminalsekretär. Und schnell. Wir öffnen in wenigen Stunden, und …«
    »Wir werden sehen«, sagte Gräf.
    Direktor Fleischer wirkte irritiert. Er war es offenbar nicht gewohnt, unterbrochen zu werden. Schon gar nicht zweimal hintereinander.
    »All unsere Fahrstühle«, fuhr er fort, »auch die Lastenaufzüge und selbst die Speiseaufzüge werden regelmäßig gewartet, zuletzt vor einem Vierteljahr. Immerhin haben wir siebzehn Aufzüge in unserem Haus und können uns nicht erlauben, dass …«
    »Aber stecken geblieben ist er, Ihr Lastenaufzug, oder?«
    Fleischer wirkte beleidigt. »Das sehen Sie ja selbst«, sagte er. »Aber dadurch ist Herr Lamkau nicht ums Leben gekommen.«
    »Solche Schlussfolgerungen überlassen Sie mal der Kriminalpolizei. Sie kennen den Toten?«
    »Nicht persönlich. Einer unserer Lieferanten.«
    Gräf nickte und betrachtete die Aufzugkabine, in der sich ein Schatten bewegte. Neben der Schnapslieferung erhob sich eine hagere Gestalt in einem weißen Kittel, und ein blond gescheitelter Kopf schaute aus der Kabine. Obwohl Doktor Karthaus fast eins neunzig maß, war von ihm nur ein Brustbild zu sehen. Es sah aus wie im Kasperletheater.
    »Na, wenn das mal nicht die Kripo ist!«
    Karthaus’ Worte klangen metallisch hohl aus dem Schacht.
    »Herr Doktor! Erstaunlich, dass Ihr Horch immer schneller ist als das Mordauto!«
    »Beschweren Sie sich nicht. Seien Sie froh, dass ich Dienstbereitschaft habe. Doktor Schwartz hätte sich geweigert, hier reinzuklettern. Hätte er in seinem Alter wahrscheinlich auch gar nicht mehr geschafft.«
    »Tja«, sagte Gräf, »die Würde des Alters lässt sich mit dem, was wir hier tun, nicht immer vereinbaren.«
    »Da haben Sie recht«, meinte Karthaus, »trotzdem würde ich lieber arbeiten, als hier nur Däumchen zu drehen.«
    Gräf ging hinüber und schaute in die Kabine. Der Tote lag neben seiner Lieferung und steckte in einem hellgrauen Krämerkittel. Sein Gesicht war bleich, die Lippen blau. Über ihm war ein rotes Tuch an das Gitter geknotet, der Stoff schien wasserdurchtränkt zu sein. Auch die Haare glänzten nass, die Schultern ebenfalls, der Stoff des Kittels hatte sich an den Schultern dunkelgrau
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