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Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Titel: Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Autoren: Volker Kutscher
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und er wenigstens zum Jahreswechsel für ein paar Tage nach Paris reisen könnte.
    Beides war nicht eingetreten.
    Sie hatten das Phantom nicht erwischt, nicht vor Silvester, nicht im neuen Jahr, der Unbekannte hatte im Gegenteil weitergemordet, mindestens zwei weitere Todesfälle gingen auf sein Konto, wahrscheinlich sogar mehr, der mysteriöse Scharfschütze war zu einem Symbol des Versagens der sonst so erfolgsverwöhnten Inspektion   A geworden.
    Und Charlys Rückkehr … Ende Januar, zwei Wochen vor dem Termin, hatte sie nach Berlin telegrafiert, dass Professor Weyer den Vertrag mit ihr verlängert habe, und Rath hatte so getan, als freue er sich mit ihr, hatte sie beglückwünscht, obwohl er sich nicht danach fühlte. Beruflich schien alles bestens zu laufen in Paris, Fräulein Charlotte Ritter war dabei, sich einen Namen zu machen in der Welt der Juristen. In der Welt von Gereon Rath aber sah es anders aus. Das Foto, das sie ihm dagelassen hatte, kam ihm mittlerweile so unwirklich vor, als zeige es einen Menschen, den es gar nicht gab.
    Nun aber war das alles vorbei. Sie kam zurück, endlich zurück, und er hatte sich geschworen, sie nie wieder so lange weggehen zu lassen. Hatte sich geschworen, sein Leben endlich in die Hand zu nehmen.
    Er hatte den zweiten Zigarettenstummel gerade aufs Gleisbett geworfen, da kündigte der Lautsprecher die Einfahrt des Zuges an. Endlich. Rath stellte sich kerzengerade, zupfte ein wenig an seinem Anzug und schaute den Lichtern entgegen, die langsam aus der Morgendämmerung wuchsen, geräuschlos zunächst, bis der Nordexpress auch sein Getöse in den Bahnhof schob, die Halle mit Fauchen und Wasserdampf füllte und mit lautem metallischen Quietschen. Nachtblaue Schlafwagen zogen an Rath vorbei und wurden immer langsamer, bis der Zug mit einem letzten Zischen der Ventile schließlich zum Stehen kam.
    Für einen Moment war es so ruhig, als sei die Zeit stehen geblieben, dann flogen die Türen auf, und überall stiegen Menschen aus den Waggons und füllten den Bahnsteig augenblicklich mit Lärm und Geschnatter. Rath machte einen langen Hals und suchte Charlys schlanke Gestalt. Hoffnungslos in dem Gewimmel. Er musste einen Schritt zurücktreten, weil er sonst umgerannt worden wäre, da bellte der Hund einmal kurz auf, wedelte heftig mit dem Schwanz und zerrte plötzlich mit aller Kraft an der Leine. Rath gab nach und ließ sich von Kirie durch das Gewimmel ziehen.
    Und dann sah er Charly auf dem Bahnsteig stehen, sah ihren suchenden Blick und blieb stehen, so sehr warf ihn dieser Anblick um. Der Hund jaulte kurz auf, als die Hundeleine spannte, und schaute sich verwundert um zu seinem Herrchen. Rath stand da und starrte Charly an.
    Eigentlich hatte sie sich kaum verändert, und dennoch hätte er sie beinahe nicht wiedererkannt. Ihre Frisur war anders, als er sie in Erinnerung hatte, kürzer und anders geschnitten, das dunkle Haar von einem rötlichen Schimmer, den er nicht kannte. Ihr Hut musste neu sein, und auch der Mantel, den sie trug, und die Schuhe. Das Bild widersprach so sehr dem, das er all die Monate in seinem Gedächtnis bewahrt hatte, dass ihn das Gefühl der Fremdheit vollkommen unerwartet überfiel. Er riss den Arm hoch und winkte mit dem Blumenstrauß. Endlich hatte sie ihn entdeckt, sie lächelte, und das Grübchen auf ihrer linken Wange machte sie wieder ein wenig vertrauter. Kirie zerrte weiter an der Leine, und Rath setzte sich wieder in Bewegung, ließ sich förmlich hintreiben zu ihr.
    Und dann waren sie bei ihr angekommen.
    Der Hund fremdelte kein bisschen, er sprang sie an und leckte ihr durchs Gesicht, und sie lachte, und Rath freute sich so sehr über dieses Lachen, dass er nur dastand und guckte, immer noch dastand, als Kirie sich längst beruhigt hatte und nur noch mit dem Schwanz wedelte und sie anhechelte. Einen Moment standen sie sich gegenüber und fanden keine Worte. Charly schaute ihn an mit ihren dunklen Augen.
    »Willkommen daheim«, sagte er schließlich, um überhaupt etwas zu sagen, und nahm sie in den Arm. Er atmete ihren Duft, und auch wenn das Parfum ihm ebenso fremd erschien wie ihr Äußeres, erkannte er darunter doch den unverwechselbaren Geruch, den nur Charlys Haut aussandte, und dieser Duft war es, der alle Eindrücke der Fremdheit vergessen machte und mit einem Mal zahllose Erinnerungen zurückbrachte; nicht eigentlich Erinnerungen, nichts aus dem Gedächtnis, sondern etwas viel tiefer Gehendes, von dem er nicht gewusst hatte, dass es
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