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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha
Autoren: Philipp Vandenberg
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unter Ärzten meist ein unrühmliches Ende nehmen, ohne dass je das Wort fallen würde, worum es eigentlich geht: Kunstfehler.
    Mit seiner Entscheidung, eine Obduktion vornehmen zu lassen, wollte Gropius von vornherein Gerüchten den Wind aus den Segeln nehmen. Für ihn stand zunächst einmal fest, dass er keinen Fehler gemacht hatte. Aber woran war Schlesinger so plötzlich gestorben?
    Die Frage beschäftigte Gropius weiter; sie würde morgen im Laufe des Tages beantwortet werden. Wer unter dem Tod eines Patienten leidet, pflegte er zu sagen, sollte nicht Arzt werden. Das hatte nichts mit Kaltherzigkeit zu tun oder gar Unmenschlichkeit, ein Klinikum war ein großes wirtschaftliches Dienstleistungsunternehmen, in dem nicht alles gelang.
    Trotz dieser Abgeklärtheit gegenüber dem einzelnen menschlichen Schicksal versetzte der Fall Schlesinger den Professor in unerklärliche Unruhe. Dies hier war eine Routine-Operation gewesen, die völlig ohne Komplikationen verlaufen war. Trotzdem war der Patient gestorben, und sein Gefühl sagte Gropius, dass da irgendetwas nicht stimmen konnte.
    Missgelaunt kam Gropius gegen 20 Uhr nach Hause. Seit Veronique ihn verlassen hatte, kam ihm das Haus wie leer geräumt vor, obwohl sie nur die Möbel ihres eigenen Zimmers mitgenommen hatte. Er hatte den Raum seither nicht mehr betreten – warum, konnte er selbst nicht sagen. Ohne hinzusehen, schaltete er das Fernsehgerät ein, aus der Küche holte er ein Glas Rotwein, dann ließ er sich erschöpft in einen Ohrensessel fallen und starrte vor sich hin ins Leere. D.T. nannte er seinen Zustand des Alleinseins scherzhaft gegenüber Freunden, wobei D. für Delirium und T. für tremens stand; aber das war wirklich scherzhaft gemeint in Bezug auf einen Zustand, in dem sich jeder Mann zu befinden glaubt, dem die Frau davongelaufen ist.
    Gropius nahm einen Schluck und stellte das Glas ab, als das Telefon läutete. Er schaute auf die Uhr und entschied, nicht abzuheben, denn er hatte keine Lust, mit jemandem zu reden, und für den Fall, dass es Rita war, die Röntgenassistentin, auf Sex schon gar nicht.
    Nach schier endlosem Klingeln kam der Apparat endlich zum Schweigen, aber nur, um nach einer kurzen Unterbrechung erneut seine Nerven zu strapazieren. Verärgert meldete sich Gropius. »Ja?«, bellte er in den Hörer.
    Niemand antwortete. Gropius wollte gerade schon wieder auflegen, als er eine Stimme vernahm.
    »Wer ist da?«, kläffte er nun ziemlich ungehalten.
    »Eine Nachricht für Professor Gropius«, hörte er eine kalte, leicht verzerrte Stimme sagen. »Es geht um den Tod Schlesingers.«
    Mit einem Mal war Gropius hellwach. »Wer sind Sie? Was wissen Sie über den Patienten? So reden Sie doch!«
    »Schlesinger starb an einem Leberkoma. – Sie trifft keine Schuld. – Deshalb sollten Sie alle weiteren Nachforschungen einstellen. – Es ist in Ihrem eigenen Interesse.«
    »Verdammt, wer sind Sie?«, rief Gropius in höchster Erregung.
    Der Anrufer hatte aufgelegt.
    Verwirrt presste Gregor Gropius den Hörer auf das Gerät, als wollte er verhindern, dass der Anrufer sich erneut meldete. Wer war der seltsame Anrufer? In seiner Ratlosigkeit rief Gropius alle Stimmen ab, die sein Gehirn gespeichert hatte. Der Vorgang dauerte einige Minuten, dann gab er auf. Er ergriff sein Glas, leerte es in einem Zug und schaltete das Fernsehgerät aus. Vom Charakter alles andere als ein Hasenfuß, bekam er es plötzlich mit der Angst zu tun, er fühlte sich beobachtet und ließ mit einem Knopfdruck die Rollladen des Hauses herab.
    Wer in aller Welt wusste von Schlesingers Tod? Und wer konnte eine so präzise und durchaus mögliche Todesursache nennen? Dafür gab es nur eine Erklärung: Es musste jemand aus dem Kollegenkreis sein. Die Rivalität unter Medizinern wird nur von jener unter Hollywoodstars übertroffen. »Fichte, Oberarzt Dr. Fichte«, murmelte Gropius halblaut vor sich hin. Aber schon im nächsten Augenblick verwarf er den Gedanken. Wollte Fichte an seinem Stuhl sägen, so hätte er doch größtes Interesse an der Aufklärung des Todes von Schlesinger, jedenfalls wäre es unsinnig, ihn aufzufordern, alle Nachforschungen nach der Todesursache einzustellen.
    Unruhig wie ein Raubtier ging Gropius im Salon auf und ab. Er hielt die Hände hinter dem Rücken verschränkt und schüttelte fassungslos den Kopf. Veronique! Mehr als einmal hatte sie ihm ins Gesicht gesagt, dass sie ihn hasste. Beim ersten Mal hatte es geschmerzt, schließlich hatten sie
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